Blumen und Insekten.
Kapitel 15.
Einfluss neuer Lebensbedingungen auf bereits ausgeprágte Blumen.
Wir haben nun aus den vortheilhaften Wirkungen der Kreuzung sowol die
erste Umbildung von Windblüthen in Insektenblüthen oder Blumen, als auch
deren allmáhlich gesteigerte Ausrüstung mit Farben, Gerüchen und Lockspeisen
und ihren stufenweisen Uebergang zu immer engerer Anpassung an bestimmte
Insektenformen uns verständlich zu machen gesucht. Aber die einzelnen jetzt
lebenden Blumenarten sind keineswegs alle, wie es hiernach scheinen kónnte,
das Endergebniss einer in gleicher Vervollkommnungsrichtung stetig fortschreiten-
den natürlichen Entwicklung; vielmehr sind in zahlreichen Fällen bereits voll-
kommen ausgeprägte und bestimmten Lebensbedingungen auf’s engste angepasste
Blumenformen unter dem Einflusse neuer Lebensbedingungen vollständig um-
geprägt worden; in manchen Fällen ist sogar statt eines Fortschrittes in gleicher
Richtung eine Umbildung in rückläufiger Richtung erfolgt.
So sind z. B. in mehreren insektenblüthigen Familien einzelne Familienglieder
von glücklicheren Concurrenten in der Anlockung geflügelter Kreuzungsvermittler
so vollständig überholt worden, dass ihnen solche schliesslich gar nicht mehr
zu Theil wurden. Manche in diese Lage gekommene Arten mögen ausgestorben
sein; manche aber sind dadurch erhalten geblieben, dass bei ihnen Abänderungen
eintraten, die ihnen die Rückkehr zur Windblüthigkeit ermöglichten.
Fig. 25. Rückkehr einer Blume zur Windbliithigkeit. (Z%alictrum minus).
im 7
1 Blüthe mit noch nicht aufge-
sprungenen Staubbeuteln. 2 Stempel
derselben, mit schon empfängniss-
fähigen Narben. 3 Blüthe mit auf-
gesprungenen Staubbeuteln und be-
reits abgefallenen Kelchblättern.
Unter den Rarurculaceen z. B. ist
die Gattung ZZaZcrum durch den
günzlichen Mangel der Blumenblátter
und des Honigs gegen Ranunculus
(fig. 1) und die meisten sonstigen Fa-
milienglieder bedeutend im Nachtheil. Wenn nun die ansehnlichen Büschel der lang hervor-
stehenden Staubfáden auffallend gefärbt sind, wie z. B. bei 7%. aquilegiaefolium blass lila, so werden
dadurch immer noch in hinreichender Menge pollenbegierige Schwebfliegen und Bienen ange-
lockt, um gelegentliche Kreuzung zu bewirken. Fällt aber auch diese Augenfälligkeit hinweg,
so werden die Insektenbesuche so spärlich, dass. der Pflanze Vernichtung droht, und dass
Kreuzung durch den Wind begünstigende Abänderungen, wenn sie auftreten, von entscheidendem
Vortheile sein und durch Naturzüchtung ausgeprügt werden müssen. So ist es bei Z%alichrum
mümus (fig. 25.) geschehen, deren Staubfüden schlaff herabhüngen, so dass die glatten, kaum
noch klebrigen Pollenkórner leicht vom Winde erfasst und auf die bereits entwickelten Narben
jüngerer Blüthen übergeführt werden kónnen. In àáhnlicher Weise ist aus der insektenblüthigen
Familie der Aosaceez Poterium Sanguisorba, aus der insektenblüthigen Familie der Composite
der Familienzweig der Artemisiaceer zur Windblüthigkeit zurückgekehrt.
Was in diesen Fällen inmitten eines von blumenbesuchenden Insekten reich
bevólkerten Gebietes die überlegene Concurrenz anderer Blumen bewirkt hat, ist
in anderen Fállen durch das Verschlagenwerden einer Blumenart auf ein der
beflügelten Kreuzungsvermittler entbehrendes Eiland veranlasst worden.
So findet sich auf der sturmgepeitschten Flüche Kerguelenlands, auf welcher geflügelte
Insekten nicht bestehen kónnen, weil jeder Fliegversuch sie dem Ertrinkungstode aussetzt, eine
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