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Aufklärung bestimmter Funktionen im Laufe der Zeit angewandt worden
sind. Die Stoffwechsellehre ist in allen ihren Teilen jetzt Hauptdomäne physio-
logisch-chemischer Forschung geworden. Früher war das anders. Noch vor etwa
40 Jahren beherrschte die jetzt allgemeine Physiologie genannte Disziplin
die Erforschung der Funktionen der Hormonorgane. Die Grundlagen, die von
dieser Seite geschaffen worden sind, sind festgefügt, der weitere Ausbau des
Forschungsgebietes glitt jedoch im Laufe der Zeit mehr und mehr in die Hände
des physiologisch-chemisch Forschenden. Aber gerade auf diesem und vielen
anderen Gebieten läßt sich leicht der Nachweis erbringen, daß eine einseitig
chemische Betrachtung der Funktionen der Hormone und der Wirkstoffe über-
haupt völlig unzureichend ist. Nur eine Gesamtschau vermittelt dem Studierenden
Wissen, das ihm in seinem späteren so verantwortungsvollen Beruf von Nutzen
sein kann.
Die Forschung eilt dahin! Kaum ist die Andeutung eines neuen Befundes
gefallen, so folgt in kürzester Zeit nach allen Seiten Aufklärung. Dabei muß
manche alte Vorstellung fallen. Nicht so selten entstehen auch schillernde Auf-
bauten, die bestechen, jedoch dem Kundigen den Keim des Verfalls ohne weiteres
verraten. Mir scheint es eine Hauptaufgabe des Lehrers zu sein,
seine Schüler so vorzubereiten, daß sie klar erkennen, wo die Grenze
des gesicherten Wissens liegt, und wo sie aufhört. Viel wesent-
licher als großes Einzelwissen ist ein Rüstzeug, das ermöglicht,
neue Anschauungen auf ihren Wert zu prüfen. Es darf nicht vor-
kommen, daß deshalb ein Abwenden von der Entwicklung eines Forschungs-
gebietes stattfindet, weil sich Ansichten wandeln, und in der Folge der Eindruck
entsteht, als schwankten Fundamente.
Bemerkt sei noch, daß alles Methodische mit Einschluß von Nachweis-
reaktionen usw. fortgelassen ist. Zur Vermittlung von Kenntnissen in dieser
Richtung sind besondere Werke vorhanden.
Die größte und zunächst nicht vorausgesehene Schwierigkeit bereitete die
Nennung von Forschern, die Entdecker von bestimmten Befunden sind, oder
aber maßgebendsten Einfluß auf die Entwicklung bestimmter Forschungsgebiete
gehabt haben. Ich erkannte bald, daß es ganz unmöglich ist, durch bloße Nennung
von einzelnen Forschern gerecht zu sein. Namentlich in der neueren Zeit arbeitet
jeder Pionier der Forschung auf den Schultern von anderen Forschern. Ein Blick
in Lehrbücher, die bestimmten Befunden Namen von Forschern beifügen, zeigt
dem Kundigen, wie sehr solche Angaben oft unzutreffend sind. Entweder muß
man die Aufgabe des Zitierens in voller Verantwortlichkeit durchführen oder
es lassen. Dabei halte ich für unumgänglich notwendig, daß der Studierende
Kenntnis von jenen Forschern erhält, die unser Wissen gemehrt haben. Es ist
auf dem Gebiete der physiologischen Chemie ganz besonders leicht, die geschicht-
liche Entwicklung des gesamten Forschungsgebietes an Hand der Leistungen
der jeweils führenden Forscher darzulegen. Eine solche Übersicht sollte organisch
in den Unterricht eingefügt sein. Eine bloße Einstreuung von Namen ohne Hin-
weis auf die Leistung besagt dem Studierenden nichts. Ich hoffe, bei Gelegenheit
einen Überblick über den Ausbau der physiologischen Chemie, den ich zu einem
großen Teil in seiner vollsten Blüte miterleben durfte, unter Anführung derjenigen
Männer, die maßgebenden Einfluß auf diesen hatten, in Gestalt eines geschicht-
lichen Abrisses geben zu können. ;
Halle a. d. S., den 1. Màrz 1940.
Emil Abderhalden