Vorlesung 1.
Einführung. Stellung der physiologischen Chemie zu verwandten Gebieten.
Forschungsmethoden. Kritische Verwertung der unter bestimmten Be-
dingungen gewonnenen Ergebnisse. Isotope als Kennmarken zum Stu-
dium des Schicksals bestimmter Verbindungen imZellstoffwechsel. Über-
blick über oft wiederkehrende Atomgruppen und ihre Verwandlung.
Die physiologische Chemie bildet ein Teilgebiet jener Forschung, die zum Ziele
hat, das Wesen der Lebensvorgánge in der gesamten Natur aufzuklàren. Sie fuDt
in ihren Methoden vornehmlich auf den von der rein chemischen Forschung
entwickelten. Das gleiche gilt zu einem überwiegenden Teil auch von dem Vor-
stellungsgut. Jeder Fortschritt auf dem Gebiete der chemischen Forschung, sei
es nun der Methodik, der Erfassung von Strukturfragen, von Reaktionsablàufen
. und dergleichen mehr, spiegelt sich direkt und indirekt im Aus- und Aufbau der
physiologischen Chemie wider. Die Symbiose zwischen der physiologisch-
chemischen Forschung und der chemischen ist mit den Jahren eine so innige
geworden, daD früher vorhandene Arbeitsteilungen:mehr und mehr verschwunden
sind. Während in früheren Jahren der physiologische Chemiker in der lebenden
Natur vorkommende Verbindungen: isolierte, reinigte und mittels analytischer
Methoden in ihrer Struktur so weit als möglich aufklärte, und der Chemiker an-
schließend durch. die Synthese den angenommenen Aufbau des Moleküls über-
prüfte, liegt zur Zeit der Schwerpunkt in. der Weiterentwicklung der physio-
logischen Chemie in mancher Hinsicht bei den Chemikern vom Fach. Es beruht
dies darauf, daB die anzuwendenden Methoden immer feinere und zum Teil auch
schwieriger zu beherrschende geworden sind. Mit diesem Hinweis soll die innige
Verknüpftheit von chemischer und physiologisch-chemischer Forschung stark
unterstrichen werden. Sie bedeutet, daß ohne gründliche Kenntnisse der Grund-
lagen des chemischen Wissensgutes ein Verständnis für die Ergebnisse der physio-
logisch-chemischen Forschung unmöglich. ist.
Während der Chemiker in der Aufklärung von Strukturproblemen führend ist,
besteht die Hauptaufgabe des physiologischen Chemikers in der Erforschung aller
jener Umwandlungen von Verbindungen, die sich im Organismus unter den in
ihm herrschenden besonderen Bedingungen vollziehen. Es ist seine hohe Aufgabe,
zu prüfen, ob Vorgänge, die außerhalb desselben in vielen Einzelheiten verfolgt
werden können, sich in gleicher oder doch ähnlicher Weise in ihm vollziehen. Mit
diesem Hinweis berühren wir eine sehr wunde Stelle der gesamten physiologisch-
chemischen Forschung, und zwar insofern, als die Neigung der Übertragung von im
sogenannten Reagenzglasversuch erschlossenen Reaktionsabläufen auf Lebens-
vorgänge sehr groß ist. Ohne Rücksicht auf die vielfach in vielen Einzelheiten
grundlegend verschiedenen Bedingungen, unter denen beobachtete Reaktionen
sich in- und außerhalb des Organismus vollziehen, wird verallgemeinert. Ein Blick
auf manche in den letzten 50 Jahren entwickelten Lehren über Geschehen im
Verdauungsapparat und vor allem in den Geweben beweist ihre Vergänglichkeit.
In zahlreichen Fällen wären. Irrtümer vermieden worden, wenn eindeutig zum
Abderhalden, Physiol. Chemie, 9. u.10. Aufl. : 1