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Einleitung; Verhalten des Lichtes an der Grenze zweier Medien. 17
zu demselben Grade der Annäherung richtig, wie die beiden ersten, das heisst
in allen Fällen wo, und in so weit, man gemäss den vorliegenden äusseren Be-
dingungen berechtigt ist, überhaupt von »Strahlen« zu sprechen, Hiervon weiter
unten mehr.
Wiewohl also die angenommenen Grundgesetze der geometrischen Optik
nicht unbedingt richtig sind, und zum Theil sogar keine eigentlich reale Bedeutung
haben, so verliert doch diese Disciplin nicht ihre Berechtigung; vielmehr hat sie
eine solche immer noch auch in dem strengeren Systeme der Wissenschaft als
formale Unterdisciplin, welche gestattet, aus wesentlich einfacheren und der
gemeinen Erfahrung zugänglicheren Annahmen als die strenge Theorie, einen
grossen und praktisch sehr wichtigen Theil von deren Resultaten abzuleiten, mit
wesentlich geringeren Mitteln, als jene es vermag und doch mit einer, für sehr
viele Fälle hinreichenden Annäherung an die Wirklichkeit.
Es wurde schon oben daran erinnert, dass die Wissenschaft — und dies mit
sehr gutem Rechte und bestem Erfolge — auch bei anderen Disciplinen der
Physik ganz ebenso verfährt. So sind wir gegenwärtig von der Discretheit der
Materie vollkommen überzeugt, fahren aber doch fort, in einer grossen Zahl von
Untersuchungen die Continuität derselben anzunehmen. So geht neben den
Forschungen nach dem tieferen Wesen der Elektricität die alte, auf der Annahme
der beiden elektrischen »Fluida« basirte Elektrostatik unbeirrt ihren Weg weiter.
So ist in noch grösserer Aehnlichkeit mit dem vorliegenden Fall, die Elektro-
dynamik AmpkRE’s auf die Annahme von Elementarwirkungen gegründet, von
denen Niemand glaubt und ebensowenig postulirt, dass sie als solche Realität
hätten — genau ebenso wie von den »Lichtstrahlen«. Aber wiewohl Strom»ele-
mente« und deren Wirkung auf einander niemals beobachtet worden sind, so
ist die Einführung ihres Begriffs und die Annahme eines Wirkungsgesetzes von
solchen dennoch eine äusserst fruchtbare gewesen, in so fern sie gestattet, die
Wirkung endlicher geschlossener Stróme auf einander, mit einer, ebenfalls in
vielen Fällen sehr weitreichenden Annäherung an die beobachtbare Wirklichkeit
zu berechnen.
Eine gleiche didactische und methodische Berechtigung, wie die Loslösung
der geometrischen Optik von der physikalischen Lehre des Lichts hat innerhalb
dieser noch die weitere Scheidung in phoronomische Optik (Undulationstheorie)
und mechanische Optik (Theorie des Aethers).
Verhalten des Lichts an der Grenze zweier verschiedener Medien.
So lange sich das Licht in einem völlig homogenen Mittel bewegt, thut es
dies, mit den angegebenen Einschränkungen in geradlinigen Strahlen. Gelangt
es an die Grenze eines Mittels von anderer optischer Beschaffenheit, so spaltet
es sich in zwei Theile, die sich von der getroffenen Stelle der Grenzfläche aus
mit, im allgemeinen plötzlich, veränderter Richtung fortbewegen:
a) Ein Theil des Lichts bleibt im ersten Medium — zurückgeworfenes,
reflectirtes Licht.
b) Der übrige Theil des Lichts geht in das zweite Medium über und pflanzt
sich zunächst in ihm fort — gebrochenes Licht.
Eine genauere Untersuchung zeigt allerdings, dass diese scharfe Scheidung niemals eintritt,
Auch der Theil des Lichtes, welcher in das erste Mittel zurückkehrt, war vorher bis zu einer
gewissen, sehr geringen Tiefe in das zweite Mittel eingedrungen. Die natürlichen Farben der
Körper haben in der bei dieser Gelegenheit vor sich gegangenen selectiven Absorption des
Lichts ihren Entstehungsgrund, wie an anderer Stelle auseinandergesetzt wird (s. Absorption).
In welchem Maasse und bis zu welcher Tiefe ein solches Eindringen des sogen. reflectirten
WiINKELMANN, Physik. ll. 2