38 Geometrische Theorie der optischen Abbildung.
meinerung der gewonnenen Resultate zu gewissen allgemeineren Beziehungen.
Auch Gauss, dem der grösste und wichtigste Fortschritt auf dem Wege solcher
Verallgemeinerung der speciellen Theoreme zu verdanken ist, ging in seinen be-
rühmten »Dioptrischen Untersuchungen«!) von den besonderen Voraussetzungen
centrirter Kugelfláchen, eines fadenfórmigen axialen Strahlen- und Abbildungsraumes,
sowie von der Giltigkeit des Brechungsgesetzes selbst aus und liess nur die bis
dahin stets gemachte Einschränkung auf den Fall unendlich dünner in Contakt
befindlicher Linsen, d. h. mit den Scheiteln coincidirender sphärischer Flächen
vollständig fallen. Ihn leitete offenbar — und ausgesprochener Maassen — das
Bestreben, die Gesetze der Abbildung durch beliebig zusammengesetzte Linsen-
systeme zurückzuführen auf gleich einfache Formen, wie sich bei einer einzelnen
brechenden Fläche oder einer einzigen Linse verschwindender Dicke ergeben.
Wiewohl er nun zeigte, dass in diesen Gesetzen die ursprünglichen Bestimmungs-
stücke des Systems (Radıen, Dicken, Brechungsindices) eine sehr beiläufige Rolle
spielten, dass die Abbildung vielmehr von gewissen Constanten viel allgemeinerer
Art abhänge, so entging doch auch ihm anscheinend die Erkenntniss, dass alle
Annahmen über die besondere Art der Verwirklichung einer optischen Abbildung
den Kern der Frage, d. h. deren allgemeine Gesetze überhaupt nicht
tangirten. Es war aber schon damals bekannt und ist später noch ófters gezeigt
worden, dass es noch andere Fülle dioptrischer Abbildung von sehr verschiedener
Art giebt, wie: durch die Brechung (oder Reflexion) schiefer Büschel (s. spáter)
oder durch die Brechung axialer Biischel an nicht centrirten Systemen von
Kugelflächen, auch durch Brechung von Büscheln beider Art an anderen als
sphárischen Fláchen, endlich auch durch eine Art von Strahlenvereinigung, die
gar nicht mehr rein dioptrischer Natur ist?) — in allen diesen Füllen konnte
und musste immer erst besonders gezeigt werden, dass auch sie schliesslich zu
ganz gleichartigen Gróssen- und Lagenbeziehungen zwischen Objekt und Bild
führen, wie sie von Gauss für den von ihm betrachteten Fall gefunden waren.
Wenn nichts anderes, so müsste diese Uebereinstimmung in den allgemeinen
Resultaten von Untersuchungen, die theilweise auf so verschiedener Basis ange-
stellt waren, den Gedanken nahelegen, dass die gedachten Beziehungen überhaupt
gar nicht von den besonderen Voraussetzungen abhängen, auf Grund deren sie
jedesmal von Neuem abgeleitet worden sind, sondern dass sie eine Folge sind
der bereits erwähnten viel allgemeineren und rein geometrischen Voraussetzung,
von der naturgemäss Alle in erster Linie ausgehen: von der Voraussetzung näm-
lich, dass eine Abbildung durch Strahlen überhaupt stattfinde. Eine
nähere Betrachtung zeigt, dass sich dies in der That so verhält.
MóBius hat, wie es scheint, zuerst?) darauf hingewiesen, dass die »axiale«
Abbildung durch eine einzelne brechende sphärische Fläche die Verhältnisse der
collinearen Verwandtschaft zum Ausdruck bringt, und dass in Folge dessen
alle Theoreme über die Wirkung auch beliebig zusammengesetzter Systeme
brechender und spiegelnder Flüchen nichts als eine einfache und direkte Abfolge
dieser durch eine Brechung involvirten Beziehung von Objekt und Bild seien.
Ihm sind in der Darstellung Mehrere gefolgt9, seine Theorie unter Zuhilfenahme
I) Góttingen 1841. Abh. Gott. Ges. d. Wiss. r. 1838—43. Werke Bd. 5, pag. 243. 1867.
?) S. z B. S. ExNER, PFLÜGER's Archiv f. d. ges. Physiol 38, pag. 274. 1886.
?) Sitzber. Süchs. Ges. d. Wiss. 1855, pag. 8.
*) LipPicH, Mitth. d. natw. Vers. Steiermark 2, pag. 1. 1871. — BECK, Zeitschr. f. Math.
u. Me rn pag. 588. 1873. — H. HANKEL, Elemente der projectiv. Geometrie. Leipzig 1875,
pag. 146.