Stellung des Problems. 39
der Betrachtungen der neueren Geometrie weiter ausbauend und begründend,
ohne aber die Voraussetzung aufzugeben, welche auch er noch festgehalten hatte:
dass zur Verwirklichung der collinearen Beziehung eine gewisse Art der dioptri-
schen Wirkung nöthig sei. Hiernach scheinen immer noch die gefundenen Ge-
setze optischer Bilder abhängig von den physikalischen Vorgängen, durch deren
Vermittelung sie entstehen.
Erst ABBE hat ohne Kenntniss der MorniUs'schen Arbeit (seit Anfang der
zo er Jahre in seinen Universitátsvorlesungen) den letzten noch übrigbleibenden
Schritt gethan: bei der Ableitung der allgemeinen Gesetze der optischen Abbildung
alle Voraussetzungen über die Verwirklichung der letzteren zunächst ganz bei
Seite zu lassen. Das einigermaassen überraschende Resultat dieser Untersuchung
ist dies: dass alle die Sätze, welche die Lagen- und Gróssenverháltnisse optischer
Bilder betreffen, sowie die dabei aufgestellten Begriffe (der Brennweiten, Brenn-
punkte und sonstigen Cardinalelemente) ihrem Wesen nach gänzlich unab-
hängig sind von den physikalischen und geometrischen Bedingungen
ihres Entstehens; dass sie nichts anderes sind, als der Ausdruck mathematisch
nothwendiger Beziehungen, die sich überall da vorfinden müssen, wo auf irgend
eine Weise zwei Raumgebiete in solche Beziehungen zu einander treten, dass
eine optische Abbildung des einen in den anderen stattfindet.
Unter optischer Abbildung ist dabei wie oben eine punktweise Abbildung
vermittels gerader Strahlen verstanden, also eine Abbildung, bei welcher jedem
Punkte des einen Raums ein, und nur ein Punkt des anderen entspricht und
der Strahlengruppe, welche durch den ersteren Punkt geht, im anderen Raume
Strahlen entsprechen, die sämmtlich durch den Bildpunkt gehen.
Diese beiden Merkmale sind ausreichend, um den Begriff einer bestimmten
Art von Abbildung festzulegen, und es sind zugleich die einzigen wesentlichen
Merkmale, durch welche die Abbildungsweise charakterisirt wird, welche durch
Lichtstrahlen unter Vermittelung spiegelnder oder brechender Flächen irgend-
wann zu Stande kommt. Von den speciellen geometrischen und physikalischen
Umständen der Abbildung hängt nichts weiter ab als einerseits die numerischen
Werthe der Constanten, welche in den allgemeinen Abbildungsgleichungen auf-
treten, und dort, mangels einer besonderen Voraussetzung, natürlich unbestimmt
bleiben müssen; zweitens die Bestimmung darüber, in welchem begrenzten Raum-
gebiet, bezw. unter welchen sonstigen Einschränkungen der allgemeine Fall der
Abbildung in dem betrachteten Sonderfall verwirklicht ist und drittens endlich
die geometrische Lokalisirung der in einander abgebildeten Räume und ihre
Lagebeziehung gegen die Grenzen der angewandten physischen Mittel.
Es scheint aber keineswegs überflüssig, diese Auffassung, d. h. diese Scheidung
dessen, was schon aus dem allgemeinen Begriffe der optischen Abbildung folgt
und dessen was erst Folge der speciellen dioptrischen Voraussetzungen ist, in
der Theorie der optischen Instrumente móglichst streng durchzuführen. Denn
für jede verstindige Anwendung einer Lehre ist die richtige Bestimmung der zu-
reichenden und nothwendigen Voraussetzungen derselben ein wesentliches Er-
forderniss. Bei der üblichen Darstellungsweise aber wird diese Bestimmung zum
mindesten ausser Acht gelassen, wenn nicht geradezu falsch getroffen. Hierdurch
wird die theoretische Erórterung vieler concreter Fragen in eine falsche Bahn
gewiesen, und die zutreffende Anwendung der Theorie oft genug verhindert oder
doch erschwert. Dies gilt z. B. namentlich in Bezug auf die oft discutirten
Fragen, welche die Grenzen der Leistungsfihigkeit der optischen Werk-
zeuge (auch in dioptrischer Beziehung) betreffen,