520 Die kinetische Theorie der Gase.
Diese Art, die Gase zu betrachten, nennt man, entsprechend den einleitenden
Ausführungen, die »mechanische« oder »dynamische«, gewöhnlich aber
die »kinetische« Theorie der Gase.
| Als bedeutendsten Begründer derselben können wir mit Recht Rı CLAUSIUS
| i ansehen, welcher in seiner Abhandlung »Ueber die Art der Bewegung, welche
Hl wir Würme nennen«!) die wichtigsten Erscheinungen, die wir am gasfórmigen
DB 1) Zustand wahrnehmen, erklärt und zum Theil schon mathematisch behandelt.
EN Kurz zuvor, im Jahre 1856, veróffentlichte A. KnówIG die »Grundzüge einer
WE IT Theorie der Gase«?.. Wenn auch mit zum "Theil fehlerhafter mathematischer
Behandlung, sind in dieser Schrift doch die wichtigsten Eigenschaften der Gase
genügend erklärt.
Beide Forscher entwickelten ihre im Wesentlichen übereinstimmenden
Theorien ohne Kenntniss der vorhergegangenen einschlägigen Arbeiten, die mit
Unrecht vollständig in Vergessenheit gerathen waren. Es sei, weil von besonders
hervorragender Bedeutung, hier DANIEL BERNOULLI'S Werk »Hydrodynamica« er-
wähnt, welches im Iahre 1738 erschien. In demselben ist in klarster Form die
kinetische Anschauungsweise des Gaszustandes entwickelt?).
Neben HERAPATH (1821)#) und JouLE (1851)°) wurde noch eine ganze Reihe
von Schriftstellern ausfindig gemacht, bei welchen sich Anfänge der Theorie
nachweisen lassen®). Die Namen jener Forscher, welche sich mit dem weiteren
Ausbau der Theorie beschäftigt haben, werden wir bei den entsprechenden
Artikeln kennen lernen.
MaxwELL's Gesetz.
Die kleinsten Theilchen, aus welchen man sich einen Kórper zusammen-
gesetzt denkt, die sogen. Molekeln, sind im gasförmigen Zustand vollständig
von einander getrennt und bewegen sich geradlinig vorwärts. Die Bewegungs-
richtungen sind für ein ruhendes Gas über die Gesammtheit der Gasmolekeln im
l| Raum gleichmàssig vertheilt, so dass sich also nach jeder Richtung des Raums gleich
“ul viel Molekeln bewegen. Da man den Molekeln eine gewisse Ausdehnung zu-
schreiben muss, so sind natürlich Zusammenstôsse derselben nicht ausgeschlossen ;
damit aber der Zustand des Gases unverändert bleibt, ist erforderlich, dass die Mole-
keln in Folge der Zusammenstôsse weder in ihrer Durchschnittsgeschwindigkeit,
noch in ihrer Durchschnittsbewegungsrichtung eine Aenderung erfahren. Um diesen
Bedingungen Genüge zu thun, ist es am bequemsten, die Molekeln als voll-
kommen elastische Kugeln von gleicher Grôsse und gleicher Masse anzusehen.
Für deren Zusammenstoss gilt dann das Gesetz von der Erhaltung der gemein-
samen Bewegungsgrösse als auch der kinetischen Energie, und entsprechend dem
Zustand vor dem Stoss ist auch nachher die Bewegung der Molekeln nach jeder
Richtung des Raums gleich wahrscheinlich.
Anm: Im folgenden ist unter »CLAUSIUS Gasth.« »die kinetische Theorie der Gase von
R. CLausIus, 2. Aufl, Braunschweig 1889—1891« und unter »O. E. MEYER Gasth.« »die kine-
tische Theorie der Gase von O. E. MxvEn, Breslau 1877« zu verstehen.
1) PocG. Ann. Bd. 100, pag. 353. 1857.
2) Zuerst als besondere Schrift bei A, W. HAGEN erschienen, dann in PoGG. Ann, Bd, 99,
pag. 315.
8) Siehe PoGG. Ann. Bd. 107, pag. 490—494. 1859.
4) Annals of philosophy New series Vol. 1, pag. 273, 340, 401. 1821.
5) Mem. of the Manchester lit. and phil. society, 2. series, vol. 9, pag. 107; spiter im
Phil mag. 4, ser. vol. 14, pag. 211. 1857.
$) Siehe Crausius, Gasth., pag. 2 -3.
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