Flüssigkeiten und Dämpfe. Allgemeines. Kritischer Zustand.
Flüssigkeiten und Dämpfe. Allgemeines. Kritischer
Zustand.
I. Allgemeines.
1) Wenn eine Flüssigkeit frei, d. h. unter dem Druck der Atmosphäre sich
befindet und wenn ihr Wärme zugeführt wird, so steigt ihre Temperatur und
sie beginnt an der Oberfläche zu verdampfen. Hat ihre Temperatur eine be-
stimmte, von Flüssigkeit zu Flüssigkeit verschiedene, Höhe erreicht, so findet
diese Verdampfung lebhaft statt, die gesammte Flüssigkeit kommt in wallende
Bewegung, die Dämpfe steigen nicht bloss von der freien Oberfläche und den
Wänden des Gefässes, sondern auch aus dem Innern der Flüssigkeit auf und
die Temperatur der Flüssigkeit steigt trotz weiterer Zufuhr von Wärme nicht
weiter, die Flüssigkeit siedet. Man nennt diese Temperatur, die die Flüssig-
keit dann besitzt, die Siedetemperatur der Flüssigkeit unter dem Druck
einer Atmosphäre oder auch schlechtweg die (normale) Siedetemperatur.
Bringt man aber die Flüssigkeit in ein geschlossenes Gefäss, welches sie nicht
vollständig ausfüllt und welches derart eingerichtet ist, dass man den Druck der
Luft über der Flüssigkeit künstlich grösser oder kleiner als den Druck der Atmo-
sphäre machen kann und führt man im Uebrigen der Flüssigkeit sowie vorher
Wärme zu, so findet man, dass die Flüssigkeit bei einer ganz anderen Tempe-
ratur zum Sieden kommt.
Ist der Druck, der auf der Flüssigkeit lastet, kleiner als der einer Atmo-
sphäre, so findet man, dass die Siedetemperatur niedriger ist als die normale,
ist der Druck grósser, so findet man die Siedetemperatur hóher als die normale.
Die Siedetemperatur einer Flüssigkeit ist also keine an sich bestimmte Grósse,
sondern sie hángt wesentlich ab von dem Druck, unter dem die Flüssigkeit
steht. Für jeden Druck ist die Siedetemperatur eine andere. Die Dämpfe, die
aus der Flüssigkeit aufsteigen, haben einen bestimmten Druck, der sich dadurch
erkennen und bestimmen lässt, dass er einer Quecksilbersáule von bestimmter
Höhe das Gleichgewicht hält. Je höher die Temperatur der Flüssigkeit steigt,
desto grösser ist der Druck der Dämpfe, die aus ihr aufsteigen, und das Sieden
einer Flüssigkeit findet dann statt, wenn der Druck der Dämpfe gleich dem auf
der Flüssigkeit lastenden Druck der Atmosphäre oder einem absichtlich her-
gestellten höheren oder niederen Druck ist.
2) Die Dämpfe, die mit ihrer Flüssigkeit in Berührung sind, nennt man ge-
sättigte Dämpfe. Es hat also gesättigter Dampf bei jeder Temperatur einen
bestimmten Druck, und dieser Druck steigt, wenn die Temperatur der Flüssigkeit
und ihres Dampfes höher wird.
Der Druck eines gesättigten Dampfes ist zunächst ganz unabhängig von
dem Volumen, welches er einnimmt, und darin unterscheidet sich ein ge-
sättigter Dampf ganz wesentlich von einem Gas. Ein Gas besitzt, wenn es ein
grósseres Volumen einnimmt, bei gleichbleibender Temperatur einen kleineren
Druck. Gesáttigter Dampf aber besitzt (bei einer und derselben Temperatur), ob
er ein grósseres oder kleineres Volumen einnimmt, immer denselben Druck. Das
beruht darauf, dass, wenn dem Dampí ein grósserer Raum zur Verfügung steht,
sofort aus der Flüssigkeit eine neue Menge verdampft, so dass der Druck des
gesättigten Dampfes wieder derselbe wird, wie vorher — einzig und allein ab-