696 Verflüssigung von Gasen.
widerspricht der obigen. Denn nach WROBLEWSKI und OLSZEWSKI siedet die Luft
eventuell schon bei — 191°. Während also PıcTET (resp. ALTSCHUL) in Bezug
auf die kritische Temperatur einen um ca. 15° höheren Werth angiebt, giebt er
in Bezug auf die normale Siedetemperatur einen um ca. 20° niedrigeren Werth
an, als die beiden polnischen Beobachter.
Der dritte Process, mit flüssiger Luft, ist also bei PICTET noch nicht ge-
schlossen, sondern intermittirend, soll aber geschlossen gemacht werden.
20) Auf ganz anderen Principien beruht eine neue Methode, welche LINDE
angewendet hat, um Gase zu condensiren, und zwar zunächst die Luft, und bei
welcher er gleich im Grossen arbeiten kann. Diese sehr aussichtsvolle Methode
beruht, wie schon oben pag. 469 erwähnt, auf der Temperaturerniedrigung, welche
ein Gas erleidet, wenn es von höherem Druck durch eine Oeffnung zu niedrigem
Druck übergeführt wird, eine Temperaturerniedrigung, die zuerst von JouLE und
THOMSON experimentell bestimmt wurde. Obwohl diese Abkühlung sehr gering
ist, so gelingt es LINDE dadurch, dass er, wie bei Dynamomaschinen, die Ursache
durch die Wirkung stets verstärken lässt, eine fortdauernd weitergehende Ab-
kühlung des Gases durch äussere Arbeit zu erreichen, welche schliesslich zu
einer Verflüssigung desselben führt. Diese Methode?!) die bisher nur für Luft
angewendet ist, ist ebenso für andre Gase anwendbar, und da sie keine Bäder
mit tiefen Temperaturen voraussetzt, so muss es durch sie gelingen, auch das
einzige, bisher noch nicht als statische Flüssigkeit erhaltene Gas, den Wasser-
stoff, zu condensiren. Bei den bisher ausgeführten Versuchen wird durch
einen Compressor die Luft in einem Recipienten auf 25 Atm. comprimirt und
durch fliessendes Wasser oder ein andres Kàltebad etwa auf 0? oder weniger
abgekühlt. Die so comprimirte Luft wird nun durch ein Rohr mit regulirbarer
Oeffrung in einen andern Raum eingelassen, in welchem durch die Saugwirkung
des Compressors der Druck dauernd auf 5 Atm. gehalten wird. Dadurch kühlt
sich die austretende Luft um 5? ab, etwa bis — 5?. Diese abgekühlte Luft aber
wird, ebenso wie die an die Oeffnung herangeführte, durch einen Gegenstrom-
apparat geführt. Dieser ist die Hauptsache bei der ganzen Anordnung. Er be-
steht aus 2 spiralfórmigen, in einander gelegten Róhren von 100 » Länge, von
denen das innere Rohr 4 cm, das áussere 10 cz Durchmesser hat. Die abgekühlte
Luft strómt durch das áussere Robr ab, wáhrend die comprimirte Luft durch das
innere Rohr zur Oeffnung hinstrómt. Die beiden Luftmassen tauschen durch die
Rohrwandung hindurch ihre "Temperaturen nahezu aus, sodass die vorher abge-
kühlte Luft sich von — 5° bis etwa 0° erwärmt, während die neu hinzuströmende
Luft sich auf — 5° ungefähr abkühlt und so an die Oeffnung herankommt.
Beim Austritt aus der Oeffnung erfährt sie nun wieder eine Abkühlung von ca.
5? bis auf — 10*, kühlt dann die neue Luft weiter ebenso tief ab, und so
schrauben sich Ursache und Wirkung immer mehr in die Hóhe, bis die Tempe-
ratur so tief geworden ist, dass die Luft unter dem angewendeten Drucke
(5 Atm.) condensirt wird. Diese condensirte Luft kann man nun durch einen
Hahn in die Atmospháre herauslassen, wodurch sich ihre Temperatur auf etwa
— 191? erniedrigt.
So ist es gelungen, sofort viele Liter flüssiger Luft zu erzeugen, ohne andre
Hilfsmittel, sondern direkt durch die Arbeit, welche zur Erhaltung der Druck-
differenz nóthig ist.
Oo
!) S. SCHROTER, Zeitschr. d. Vereins deutscher Ingenieure 39, pag. 1157. 1895.