Gesättigte Dämpfe. 697
Da aus der flüssigen Luft der Stickstoff rascher verdampft als der Sauerstoft
(Stickstoff siedet bei — 146°, Luft bei — 118°), so wird die flüssige Luft beim
Stehen immer sauerstoffreicher.
Diese hóchst interessante Methode giebt die Móglichkeit, auf die einfachste
Weise alle Gase, auch den Wasserstoff in beliebigen Quantitáten zu verflüssigen,
und verspricht noch viele wichtige Resultate. GRAETZ.
Gesättigte Dämpfe.
I. Normales Sieden.
a) Allgemeines.
1) Wenn einer Flüssigkeit Wärme zugeführt wird, so gehen die an der Ober-
fläche befindlichen Moleküle in gesättigten Dampf über, der eine um so höhere
Spannung besitzt, je höher die Temperatur der Flüssigkeit ist. Die Spannung
dieses Dampfes ist in erster Linie gänzlich unabhängig von einem etwa vor-
handenen Gasdruck, also insbesondere davon, ob die Luft mit ihrem normalen
Druck auf der verdampfenden Flüssigkeit lastet, oder ob die Flüssigkeit im Vacuum
oder unter irgend einem künstlich hergestellten Druck verdampít. Bringt man
in das Innere einer Flüssigkeit eine Luftblase, so geht auch an dieser die Ver-
dampfung vor sich, es entsteht eine Dampfblase, die immer grósser wird und
immer grössere Spannung bekommt, bis sie den Druck der auf ihr liegenden
Flüssigkeit überwindet und an die Oberfliche der Flüssigkeit aufsteigt!). Da in
den Flüssigkeiten immer, wenn sie nicht durch besondere Bearbeitung luftfrei
gemacht sind, im Innern Luftbláschen enthalten sind, an Staubtheilchen haftend
oder an den Winden des Gefásses, so findet an jedem solchen Luftbláschen
eine Verdampfung statt. Wird nun die Temperatur der Flüssigkeit so hoch,
dass der Druck des gesáüttigten Dampfes gleich dem Atmosphärendruck wird,
so steigen von allen diesen Punkten im Innern aus die Dampfblasen in die
Hóhe, die Flüssigkeit siedet. Der Siedepunkt einer Flüssigkeit ist also die-
jenige Temperatur, bei welcher der Druck des gesáttigten Dampfes der Flüssig-
keit gleich dem Druck der Atmosphäre ist. Da der Atmosphárendruck inner-
halb gewisser Grenzen schwankt, so findet auch das Sieden bei etwas ver-
schiedenen Temperaturen statt. Als normale Siedetemperatur einer Flüssig-
keit bezeichnet man diejenige Temperatur, bei welcher der Dampf der Flüssig-
keit die Spannung 760 mm hat, bei der also unter diesem Barometerdruck Sieden
stattfinden würde. Da die Darapfblasen im Innern der Flüssigkeit nicht bloss
den Atmosphárendruck, sondern auch noch den kleinen Druck zu überwinden
haben, den die über ihnen liegende Flüssigkeitssáule ausübt, so ist die Tem-
peratur der Flüssigkeit im Innern beim Sieden nothwendig etwas, wenn auch nur
minimal hóher, als an der Oberfláche, resp. als die Temperatur des Dampfes.
Man bestimmt deshalb die Siedetemperatur einer Flüssigkeit correkt so, dass
man das Thermometer nicht in die Flüssigkeit, sondern in den Dampf in un-
mittelbarer Nähe der Flüssigkeit eintauchen lässt,
1) GERNEZ, Ann. chim. phys. (5) 4, pag. 335. 1875.