Normales Sieden. Siedepunktsregelmässigkeiten. 701
c) Siedepunktsregelmässigkeiten.
5) Durchgängige Regelmässigkeiten, welche Beziehungen der Siedepunkte
zur chemischen Constitution ergeben, sind nicht vorhanden. Sie sind auch kaum
zu erwarten, da der Siedepunkt bei 760 zz kein innerlich ‚ausgezeichneter Punkt
für die verschiedenen Flüssigkeiten ist, sondern nur ein durch unsere zufälligen
Luftdruckverhältnisse gegebener. Eher wären Regelmässigkeiten für die kritische
Temperatur (die absolute Siedetemperatur) za erwarten, sie scheinen aber auch
dort richt durchgängig vorhanden zu sein. Das hauptsächlichste Ergebniss der
Untersuchungen über diese Beziehungen ist in dem Korr’schen Gesetz aus-
gesprochen, welches sagt, dass gleichen Unterschieden in der chemischen Con-
stitution bei organischen Körpern auch gleiche Unterschiede der Siedepunkte
entsprechen!). Z. B. die Methylester und Aethylester verschiedener Säuren
haben Siedepunktsdifferenzen von etwa 19°. Die Säuren haben einen um 45°
hôheren Siedepunkt als die Aethylester derselben. Da die Siedepunkte nicht
zuverlässig bestimmt waren, so untersuchte sie Kopp, um die Richtigkeit seines
Gesetzes zu prüfen, experimentell genauer?) und fand bestätigt, dass für jedes
eintretende CH, in homologen Reihen der Siedepunkt sich um ca. 19° ändert.
Das zeigte sich bei den zusammengesetzten Estern, bei den Aldehyden, den
Stickstoff- und Cyanverbindungen der Alkoholradikale u. s. w. Indess sind in
einer grossen Anzabl homologer Reihe die Unterschiede andere, für jedes
CH, wird der Siedepunkt nicht um 19?, sondern um mehr (25?) oder weniger
(13?) erhóht.
6) Eine andere Regelmissigkeit, die Kopp aufstellte, war die, dass isomere
Verbindungen ähnlicher Constitution (metamere Verbindungen) gleiche Siede-
punkte haben, z. B. Aethylformiat und Methylacetat; ferner Amylacetat und
Aethylvalerat. Letzterer Satz wurde aber in zahlreichen Fällen als unzutreffend
erkannt, während er in anderen Fällen thatsächlich angenähert richtig ist. Ebenso
wurde auch der Satz von den constanten Siedepunktsdifferenzen durch weitere
Untersuchungen?) als nur angenähert erwiesen. Auch die Versuche, bei anderen
Drucken als Atmosphärendruck die volle Gültigkeit der Korr’schen Regel nach-
zuweisen, haben nicht zum Ziel geführt*). Es hat sich schliesslich gezeigt, dass
neben der Zusammensetzung, von der die KorP'sche Regel zunächst spricht,
auch die Constitution einen wesentlichen Einfluss auf den Siedepunkt hat.
So haben die secundären oder tertiären Alkohole und Säuren regelmässig tiefere
Siedepunkte als die normalen. Alle diese Untersuchungen, die zu keiner durch-
gängigen Beziehung geführt haben, findet man zusammengefasst in dem unten
citirten Werk von MankwaLp5) und in dem Lehrbuch der allgemeinen Chemie
von Osrwaup, 2. Aufl., Bd. I.
1) Kopp, LIEB. Ann. 41, pag. 86. 1842; 50, pag. 142. 1844.
2) Kopp, LIEB. Ann, 96, pag. 1. 1851.
3) WANKLYN, LIEB. Ann. 137, pag. 38. 1863. — SCHORLEMMER, LIEB, Ann. 161, pag. 281.
1872. — ZINKE und FRANCHIMONT, LIEB. Ann. 164, pag. 341. 1872. — LINNEMANN, LIEB. Ann.
182, pag. 39. 1872. |
4) OsrwALD, Lehrbuch d. allg. Chemie I, pag. 332 (2. Aufl). — WINKELMANN, WIED.
Ann. I, pag. 430. 1877.
5) MARKWALD, Beziehungen zwischen Siedepunkt und chem. Constitution. Preisschrift,
Berlin 55. R. FRIEDLANDER 1889.