546 Pyro- und Piëzoelektricität.
der VorcT'schen zu erhalten sein, mit Ausnahme des einaxigen, welches wegen
seiner unendlichzühligen Symmetrieaxe hier überhaupt nicht vorkommen kann.
Wie schon erwähnt, haben die von Voicr angegebenen Polsysteme den
Vorzug, genau der Symmetrie der Krystallstruktur zu entsprechen — was nament-
lich von Wichtigkeit ist, wenn man den elektrischen Kráften einen bestimmenden
Einfluss bei der Krystallbildung zuschreiben will —; dazu kommt noch der
andere, dass sie keine permanenten Momente besitzen, wodurch die An-
nahme einer im natürlichen Zustande der Krystalle jene compensirenden Ober-
flächenbelegung, welche eine sehr grosse Dichtigkeit besitzen und dann zu ge-
wissen, noch nicht beobachteten Erscheinungen Anlass geben müsste, in Weg-
fall kommt. Andererseits haben sie freilich den Nachtheil, bei manchen Krystall-
gruppen aus einer sehr grossen Anzahl von einzelnen Polen zu bestehen, was
indessen weniger bedenklich erscheint; wenn man erwägt, dass die hier be-
trachteten Krystallmoleküle sich aus einer grossen Anzahl chemischer Moleküle
zusammensetzen können.
Abgesehen von den besprochenen Modifikationen der RıECkE’schen Molekular-
theorie schlägt Vorcr!) auch eine Auffassung vor, welche sich von derjenigen
RrECKE's principiell darin unterscheidet, dass die Moleküle nicht als dielektrisch
polarisirbar, dagegen die mit ihnen verbundenen elektrischen Pole als gegen-
einander verschiebbar betrachtet werden; dann würden sowohl die elektrische
Erregung durch Deformationen, wie auch die dielektrische Polarisation jm elek-
trischen Felde, lediglich durch Verschiebungen der etwa an den Atomen haften-
den elektrischen Pole im Molekül verursacht sein. Nimmt man an, dass jene
Verschiebungen den Deformationen des Volumelementes proportional, aber für
ungleichwerthig gelegene Pole verschieden sind, so kommt man unter Berück-
sichtigung der Symmetrieverhältnisse wieder zu denselben linearen Beziehungen
zwischen den Deformationen und den durch sie erregten Momenten, welche VoicT
ursprünglich obne Benutzung einer speciellen Vorstellung abgeleitet hatte.
Einer speciellen Annahme, welche ganz der soeben besprochenen Vor-
stellung von VorcT entspricht, hat sich Lord KerviN?) bedient, um das piézo-
elektrische Verhalten des Quarzes (für Druckrichtungen senkrecht zur Hauptaxe)
zu erklären. Er nimmt an, dass die Moleküle aus sechs abwechselnd positiv und
negativ geladenen Atomen bestehen, die im natürlichen Zustande in den Ecken
eines regulären Sechsecks angeordnet sind (also ein »trigonales Polsystem«
bilden) und welche bei Deformationen des Krystalls ihren Abstand vom Mittel-
punkt des Moleküls, sowie die Lage auf den diese Mittelpunkte verbindenden
Geraden beibehalten; indem dann die von letztgenannten Geraden gebildeten
Dreiecke ungleichseitig werden, nimmt jedes Molekül ein elektrisches Moment
an, und es ist leicht zu zeigen, dass die so entstehenden Momente dem von
der allgemeinen Theorie gelieferten Gesetze folgen. Lord KELvIN sucht auch
wahrscheinlich zu machen, dass Potentialdifferenzen der Atome von der Grössen-
ordnung derjenigen zwischen Kupfer und Zink ausreichen würden, um die
beobachtete Stürke der piézoelektrischen Erregung des Quarzes zu erkliren.
Eine verwandte Vorstellung, nach welcher die Moleküle aus Theilen von
constanter, durch Contact verursachter elektrischer Potentialdifferenz be-
stehen, aber die Entstehung bezw. Aenderung des elektrischen Moments nicht
D) W. Voigr, Nachr, Ges. d. Wiss. Gottingen 1893, pag. 669. Die Möglichkeit einer
Veränderung der Polsysteme selbst hat auch RIECKE schon erwähnt (Nachr. Ges. d. Wiss.
Göttingen 1891, pag. 194), aber weiterhin von der Betrachtung ausgeschlossen.
?) Lord KELVIN, Philos. Magazine (5) XXXVI, pag. 331. 1893.