80 Allgemeine Einleitung in die Astronomie,
fernungen verkehrt proportional wären. Diesen Satz fand er natürlich sofort un-
richtig. Besser stimmte ihm eine andere Annahme, die sich kurz in folgenden
Worten aussprechen lässt: Sind a,, a, die mittleren Entfernungen zweier Planeten
(wobei 25 — 24), deren Umlaufszeiten /,, 7, sind, so wird /,: } (4, + 4) — 2,:45;
auch diese Annahme ist unrichtig, und wurde später (in den »Harmonices mundi«)
von KEPLER selbst widerlegt. Bereits im Mysterium cosmographicum führte
KEPLER die Bewegung der Planeten auf eine in der Sonne befindliche Kraft
zurück, welche sich von der Sonne aus verbreitet, sodass sie in grösseren Ent-
fernungen immer schwächer wird. Aus dieser Annahme, welche bereits den
Uebergang zu seinen folgenden physikalischen Untersuchungen bildet, leitete er
auch das obige Gesetz zwischen den Geschwindigkeiten und Entfernungen ab,
beweist aber dann auch die Nothwendigkeit der Einführung des von dem Mittel-
punkte des excentrischen Kreises verschiedenen Punktes der gleichmässigen Be-
wegung. Indem nämlich nicht nur bei verschiedenen, sondern auch bei einem
und demselben Planeten die bewegende Kraft der Sonne in verschiedenen Ent-
fernungen verschieden ist, wird im Aphel des excentrischen Kreises die Wirkung
der Sonne schwächer, im Perihel stärker als in der mittleren Entfernung sein,
demnach die Bewegung im excentrischen Kreise ungleichmässig, langsamer im
Aphel, schneller im Perihel, so aber, dass von einem anderen Punkte, dessen
Entfernung von der Sonne durch den Bahnmittelpunkt halbirt wird (Bisection),
die Bewegung in der Bahn gleichmässig erscheinen wird. In der ersten
Ausgabe des Mysterium cosmographicum machte KEPLER noch Ausnahmen für
den Mercur und die Venus, in der zweiten Ausgabe bemerkt er jedoch, dass
dieses Gesetz ausnahmslos stattfinden müsse, und dass die für die inneren
Planeten bei CorERNIiCUS nóthigen Ausnahmen durch Fehler der Beobachtung
und Theorie entstanden würen.
Als KEPLER im Jahre r60o0 zu Tvcuo nach Prag kam, und ihm die Aufgabe
zufiel, den Mars zu beobachten und die Theorie desselben zu prüfen, fand er,
dass unter der Annahme der Bisection der Excentricitit die Theorie Ab-
weichungen von der Beobachtung ergab, welche die bei den TvcHoNr'schen Beob-
achtungen vorauszusetzenden Beobachtungsfehler weit iibertrafen. KEPLER stellte
sich nun die Aufgabe, die Theorie des Mars von Grund aus neu aufzubauen,
wobei er drei wichtige Bedingungen zu erfüllen trachtete: 1) die gefundene
Bahn sollte den von KEPLER aufgestellten theoretischen Principien über die be-
wegende Kraft der Sonne genügen, 2) die Unterschiede zwischen den aus der
Theorie berechneten und den beobachteten Längen und Breiten sollten 2' nicht
übersteigen, 3) die Unterschiede zwischen den aus der Theorie gefundenen und
den beobachteten Entfernungen sollten etwa den tausendsten Theil der Ent-
fernungen — diese Grenze ergab sich im Laufe der Untersuchungen selbst —
nicht überschreiten. Der Planet Mars war zu diesen Untersuchungen besonders
geeignet, da er in den Oppositionen der Erde sehr nahe kommt und eine grosse
Excentricität hat, weshalb Ungleichheiten besonders hervortreten. Fast 10 Jahre
hatte KEPLER diesen Untersuchungen gewidmet, mit unermüdlicher Ausdauer
hatte er unter den verschiedensten Annahmen die mühseligsten Rechnungen
durchgeführt; bald stimmten die beobachteten Längen nicht, bald die Ent-
fernungen, — aber endlich krönte doch der Erfolg seine Bemühungen. Der
Erfolg war die Aufstellung der beiden ersten, berühmten, nach ihm genannten
Gesetze der Planetenbewegungen, welche er in seinem Werke »Astronomia nova
seu Physica Coelestis, tradita Commentariis de Motibus stellae Martis« publi-
cirte.