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Chronologie.
Chronologie. Die Chronologie ist die Lehre von den Geschehnissen,
welche eine Eintheilung der Zeit ermöglichen, und von den Formen, welche die
Zeitmaasse nach und nach angenommen haben. Sie zerfällt in zwei Haupttheile,
nämlich erstens die mathematische oder richtiger astronomische Chronologie,
welche diejenigen Lehren der Astronomie umfasst, die uns die regelmässig oder
unregelmässig wiederkehrenden Erscheinungen am Himmel erkennen und begreifen
lassen, welche die Grundlagen für Zeiteintheilungen geben, und zweitens in die
technische, oder manchmal wohl auch historische Chronologie genannt,
welche die Formen, denen die Zeitrechnung bei den verschiedenen Völkern sich
allmählich angepasst hat, darlegt. Bei der hier gebotenen Raumbeschränkung
muss sich der Verfasser damit begnügen, einen allgemeinen Ueberblick über
die beiden getrennten Disciplinen zu geben und nur die wichtigsten Punkte
etwas eingehender darzulegen, jedoch ist überall für den Leser, der tiefer
in diese Materie eindringen will, ein ausführlicher Hinweis beigefügt, auf
welche Weise er die dabei nothwendig werdenden einfachen Rechnungen
erledigen kann,
Mathematische oder astronomische Chronologie.
Das natürlichste Maass zur Eintheilung der Zeit bietet dem Menschen die
Umdrehung der Erde um ihre Axe, welche sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit
von Westen nach Osten vollzieht und einerseits den regelmässigen Wechsel von
Tag und Nacht bedingt, andrerseits eine scheinbare Bewegung der Gestirne —
die sogen. erste, tägliche oder gemeinschaftliche — hervorruft, die mit
derselben Geschwindigkeit, aber in entgegengesetzter Richtung wie die Rotation
der Erde vor sich zu gehen scheint. Dadurch macht es für einen Beobachter
auf der Erde den Eindruck, als ob sich alle Gestirne im Osten über den Horizont,
d. h. jenen Kreis, in welchem sich Himmel und Erde zu berühren scheinen,
erhóben und am Himmel emporstiegen, bis sie im Meridian ihre grósste Hóhe
bei ihrer sogen. Culmination erreichten, um dann allmáhlich nach Westen und
unter den Westhorizont herunter zu sinken. Die Zeit, welche verstreicht zwischen
zwei aufeinander folgenden Culminationen desselben Sternes, ist dieselbe, die die
Erde zu einer vollen Umdrehung braucht, und man nennt diese einen Stern-
tag, wobei also die Bezeichnung »Tag« in einem weiteren Sinne und nicht nur
für den hellen, lichtvollen Zeitabschnitt, also auch nicht im Gegensatz zur Nacht
gebraucht ist. Man theilt den Sterntag in 24 Stunden Sternzeit, und beginnt
die Zählung derselben, wenn derjenige Punkt am Himmel durch den Meridian
des Beobachtungsortes geht, in welchem die von der Sonne am Himmel schein-
bar durchlaufene Bahn — die Ekliptik — den Himmelsáquator (d. h. den Kreis,
in dem das scheinbare Himmelsgewólbe von der erweitert gedachten Ebene des
Erdáquators getroffen wird) schneidet. Man nennt diesen Punkt den Frühlings-
punkt, weil man auf der nórdlichen Erdhálfte vom Eintritt der Sonne in den-
selben ab den Frühling rechnet. Der Sterntag ist das gleichmässigste Zeitmaass,
aber da derselbe mit dem Lauf der Sonne nicht übereinstimmt, so rechnen nur
die Astronomen danach, im bürgerlichen Leben regulirt man die Zeit nach der
Sonne, indem man die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Culminationen
der Sonne einen wahren Sonnentag nennt, den man in 24 Stunden wahre
Zeit eintheilt, die man mit dem Durchgang der Sonne durch den Meridian des
Ortes zu zählen beginnt. Da nun die Sonne am Himmel täglich um ein kleines
Stück von Westen nach Osten, also entgegensetzt der täglichen Bewegung der
VALENTINER, Astronomie, I, 38