Kosmogonie. 229
Friedrich dem Grossen gewidmeten »Naturgeschichte des Himmels« veróffent-
licht hat. Nach ihrem ersten Auftreten freilich blieb diese merkwürdige Schrift
so unbekannt, dass noch im Jahre 1761 LAMBERT!) in seinen »kosmologischen
Briefen« eine Anzahl der von dem Kónigsberger Professor bereits behandelten
Fragen nur nach Zweckmüssigkeitsgründen, die nach des Verfassers eigenem
Geständniss keine grosse Tragweite hatten, glaubte beantworten zu kónnen, und
erst nachdem LaPLACE's?) »Exposition du Systeme du Monde« die allgemeine
Aufmerksamkeit auf kosmologische Ideen gelenkt hatte, entdeckte man, dass
das Werk Kawr's reich an solchen war, die mit denen des französischen Geo-
meters zum Theil übereinkamen. Doch ist der Unterschied in den An-
schauungen beider grossen Gelehrten immerhin ein so beträchtlicher, dass es
nicht angemessen erscheint, sie als KaNwT-LAPLACE'sche Weltbildungshypothese
zusammenzuwerfen, wie dies üblich geworden ist?).
Seit dem Bekanntwerden der Arbeit Kawr's ist die Frage nach der Ent-
stehung der Welt nicht wieder von der Tagesordnung verschwunden. Spátere
Arbeiten haben Neues dem Vorhandenen zugefügt oder sie haben, namentlich
seit HELMHOLTZ^) und RITTERS) das Princip von der Erhaltung der Energie und
die kinetische Gastheorie auf die Lehren KaNT's und LAPLACE’s anwendeten,
Unbaltbares ausgeschieden. Darüber hat man aber vielfach aus dem Auge ver-
loren, dass eine gerechte Würdigung der Verdienste KANT's um die Weltbildungs-
theorie nicht den heutigen Standpunkt der Wissenschaft als Maassstab anlegen
darf, sondern auf den der Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückgehen muss.
Wir werden demnach am zweckmissigsten ein Bild der geschichtlichen Ent-
wickelung der Lehre und ihres gegenwärtigen Standpunktes erbalten, wenn wir,
stets von den Ansichten KawT's ausgehend, deren Fortbildung bis zur Gegen-
wart verfolgen und nacheinander das Wesen des Urstoffes, die Nebelmassen und
Fixsternsysteme, die Fixsterne und unser Sonnensystem betrachten, um schliesslich
auf die Quellen der Sonnenwárme noch etwas nüher einzugehen.
Vorher jedoch sei die Bemerkung gestattet, dass Versuche, wie der DuPnEr's$),
die Lehre CH. DanwiN's auf die Entstehung der Himmelskórper anzuwenden,
vóllig aussichtslos erscheinen. Fehlen doch den Himmelskórpern und den sie
zusammensetzenden Massentheilchen die Grundbedingungen aller individuellen
Fortentwickelung, wie die Móglichkeit der Anpassung an gegebene Verhältnisse
und die der Vererbung erworbener Eigenschaften. Wenn KANT”) (pag. 18)
!) LAMBERT, Kosmologische Briefe. Augspurg 1761, pag. 70 und 102.
7) LAPLACE, Oeuvres. Paris 1846 VI, Note VIL Die »Exposition du Systéme du Monde«
erschien zuerst 1796.
3) So HELMHOLTZ. Populäre wissenschaftliche Vorträge, 3. Heft. Braunschw. 1876,
pag. IOI.— SCHOPENHAUER, Parerga II, pag. 117. — C. BRAUN, Die Kosmogonie vom Stand-
punkte christlicher Wissenschaft. 1889, pag. 49 ft. — LAMPA, Naturkräfte u. Naturgesetze,
Wien 1805, pag. 117 ff. etc. Schematische Zusammenstellungen beider Hypothesen geben
ZÖLLNER, Natur der Kometen. Leipz. 1872, pag. 460, und G. EBERHARD, die Kosmogonie von
KANT, Publicationen der v. KUFFNER’schen Sternwarte in Wien. III. Bd. Herausg. von
L. DE BALL, Wien 1894, pag. XXVIII ff.
*) HELMHOLTZ, Populäre Vorträge. Braunschw. 1871 und 1876. 2. Heft, pag. 120 u.
134. 3. Heft, pag. 101;
5) RITTER, Untersuchungen über die Hóhe der Atmosphäre und die Constitution gas-
förmiger Weltkörper. WiıEeD. Ann. V—VIII, X— XIV, XX.
6) DUPREL, Die Planetenbewohner und die Nebularhypothese. Leipzig 1880. Ent-
Wickelungsgeschichte des Weltalls. Leipzig 1882.
7) Ich citire nach dem Abdruck in Heft 12 der Classiker der exacten Naturwissenschaften.