Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 1)

158 Physikalische Gesetzlichkeit 
Der einzige sichere Führer auf dem Weg der weiteren Ent- 
wicklung bleibt stets die Messung und was aus den an sie un- 
mittelbar anschließenden Begriffen auf logischem Wege ge- 
folgert werden kann. Alle anderweitigen Schlüsse, und gerade 
solche, welche sich durch eine gewisse unmittelbare sogenannte 
Evidenz auszeichnen, sind immer mit einem gewissen Miß- 
trauen zu betrachten. Denn über die Bündigkeit eines Be-. 
weises, der von wohldefinierten Begriffen handelt, entscheidet 
nicht die Anschauung, sondern der Verstand. 
II. 
Meine Damen und Herren! Wir haben bisher unser Augen- 
merk hauptsächlich der Frage zugewendet, auf welchem Wege 
man zur Erkenntnis physikalischer Gesetze gelangt; jetzt 
wollen wir einmal weiter dazu übergehen, den Inhalt und das 
eigentliche Wesen der physikalischen Gesetzlichkeit etwas 
näher ins Auge zu fassen. 
Ein physikalisches Gesetz findet seinen Ausdruck gewöhn- 
lich in einer mathematischen Formel, welche es gestattet, für 
irgendein vorliegendes, bestimmten gegebenen Bedingungen 
unterworfenes physikalisches Gebilde den zeitlichen Ablauf 
der darin stattfindenden Vorgänge zu berechnen. Von diesem 
Gesichtspunkte aus betrachtet lassen sich alle physikalischen 
Gesetze ihrem Inhalt nach ohne weiteres in zwei große Grup- 
pen teilen. 
Die Gesetze der ersten Gruppe sind dadurch gekennzeichnet, 
daß sie ihre Gültigkeit unverändert behalten, wenn man in 
ihnen das Vorzeichen der Zeit umkehrt, oder anders ausge- 
drückt: wenn jeder Vorgang, der ihre Forderungen erfüllt, 
auch rückwärts verlaufen kann, ohne mit ihnen in Wider- 
spruch zu kommen. Beispiele hierfür sind die Gesetze der 
Mechanik und die Gesetze der Elektrodynamik, wofern von 
thermischen und chemischen Wirkungen abgesehen wird. 
Jeder rein mechanische oder elektrodynamische Vorgang kann 
auch in umgekehrter Richtung verlaufen. Ein reibungslos 
fallender Körper wird nach dem nämlichen Gesetze beschleu- 
nigt, wie ein reibungslos emporfliegender Körper verzögert 
wird, ein Pendel schwingt unter denselben Bedingungen nach 
links wie nach rechts, eine Welle kann sich ebenso nach der 
   
       
  
  
  
  
  
  
   
    
   
   
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