6 Die Einheit des physikalischen Weltbildes
immerhin erstaunlich, ja paradox erscheinen. Und dennoch
liegt kaum eine Tatsache in der Geschichte der Physik so klar
zutage wie diese. Fürwahr, es müssen unschätzbare Vorteile
sein, welche einer solchen prinzipiellen Selbstentäußerung
wert sind!
Bevor wir auf diesen wichtigen Punkt näher eingehen,
wollen wir nun noch unseren Blick aus der Vergangenheit
und der Gegenwart in die Zukunft richten. Wie wird man in
künftigen Jahrhunderten das System der Physik einteilen?
Gegenwärtig stehen sich darin noch zwei große Gebiete gegen-
über: die Mechanik und die Elektrodynamik, oder wie man
auch sagt: die Physik der Materie und die Physik des Âthers.
Erstere umfaßt zugleich mit die Akustik, die Kórperwáàrme,
die chemischen Erscheinungen, letztere den Magnetismus, die
Optik und die strahlende Wärme. Wird diese Einteilung die
endgültige sein? Ich glaube es nicht, und zwar deshalb nicht,
weil diese beiden Gebiete sich gar nicht scharf voneinander
abgrenzen lassen. Gehören zum Beispiel die Vorgänge der
Lichtemission zur Mechanik oder zur Elektrodynamik ? Oder:
In welches Gebiet soll man die Bewegungsgesetze der Elek-
tronen rechnen? Vielleicht möchte man auf den ersten Blick
sagen: zur Elektrodynamik, da bei den Elektronen doch die
ponderable Materie gar keine Rolle spielt. Aber man richte
sein Augenmerk nur etwa auf die Bewegungen der freien
Elektronen in Metallen. Da wird man zum Beispiel beim
Studium der Untersuchungen von H. A. Lorentz finden, da
die Gesetze derselben weit besser in die kinetische Gastheorie
als in die Elektrodynamik hineinpassen. Überhaupt scheint
mir der ursprüngliche Gegensatz zwischen Äther und Materie
etwas im Schwinden begriffen zu sein. Elektrodynamik und
Mechanik stehen sich gar nicht so ausschließend gegenüber,
wie das in weiteren Kreisen gewöhnlich angenommen wird,
wo sogar schon von einem Kampf zwischen der mechanischen
und der elektrodynamischen Weltanschauung gesprochen
wird. Die Mechanik bedarf zu ihrer Begründung prinzipiell
nur der Begriffe des Raums, der Zeit und dessen, was sich
bewegt, mag man es nun als Substanz oder als Zustand
bezeichnen. Die námlichen Begriffe kann aber auch die
Elektrodynamik nicht entbehren. Eine passend verall-
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