218 Positivismus und reale Außenwelt
nachjagt? — Mitnichten. Denn gerade aus diesem fort-
währenden Ringen erwachsen in unaufhörlich anschwellender
Menge die wertvollen Früchte, welche uns den handgreiflichen,
allerdings auch den einzigen Beweis dafür liefern, daß wir
auf dem rechten Wege sind und daß wir dem in unerreich-
barer Ferne winkenden Ziel doch andauernd etwas näher
rücken. Nicht der Besitz der Wahrheit, sondern das erfolg-
reiche Suchen nach ihr befruchtet und beglückt den Forscher.
Das ist eine Erkenntnis, die einsichtigen Denkern schon lange
aufgegangen war, ehe ihr Lessing in seinem bekannten Spruch
die klassische Prägung gegeben hat.
II.
Dem Physiker ist das ideale Ziel die Erkenntnis der realen
AuBenwelt; aber seine einzigen Forschungsmittel, seine Mes-
sungen, sagen ihm niemals etwas direkt über die reale Welt,
sondern sind ihm immer nur eine gewisse mehr oder weniger
unsichere Botschaft oder, wie es Helmholtz einmal aus-
gedrückt hat, ein Zeichen, das die reale Welt ihm übermittelt
und aus dem er dann Schlüsse zu ziehen sucht, ähnlich einem
Sprachforscher, welcher eine Urkunde zu enträtseln hat, die
aus einer ihm gänzlich unbekannten Kultur stammt. Was
er dabei von vornherein voraussetzt und voraussetzen muß,
wenn seiner Arbeit überhaupt ein Erfolg möglich sein soll,
ist, daß der Urkunde ein gewisser vernünftiger Sinn inne-
wohnt. So muß auch der Physiker voraussetzen, daß die
reale Welt gewissen uns begreiflichen Gesetzen gehorcht,
wenn er auch keine Aussicht hat, diese Gesetze vollständig
zu erfassen oder auch nur ihre Natur von vornherein mit
voller Sicherheit festzustellen.
Im Vertrauen auf die Gesetzlichkeit der realen Welt formt
er sich nun ein System von Begriffen und Sätzen, das so-
genannte physikalische Weltbild, welches er nach bestem
Wissen und Können so ausstattet, daß es, an die Stelle der
realen Welt gesetzt, ihm möglichst die nämlichen Botschaften
zusendet als diese. Insoweit ihm das gelingt, darf er, ohne
eine sachliche Widerlegung befürchten zu müssen, die Be-
hauptung aufstellen, daß er eine Seite der realen Welt wirk-