274 Ursprung und Auswirkung wissenschaftlicher Ideen
ist in den meisten Fällen darauf angewiesen, aus zweiter
Quelle zu schöpfen. Aber um so dringender muß man ver-
langen, daß er sich wenigstens auf irgendeinem Gebiete wirk-
lich vollständig zu Hause fühlt und darin ein selbständiges
Urteil besitzt. Daher habe ich auch als Mitglied der philo-
sophischen Fakultät von jeher die Forderung vertreten, daß
jemand, der sich in der Philosophie den Doktorgrad erwerben
will, mindestens in irgendeiner Fachwissenschaft spezielle
Kenntnisse nachweist. Ob das Fach den Naturwissenschaften
oder den Geisteswissenschaften angehort, ist dabei un-
wesentlich. Wesentlich ist nur, daß er durch eigenes Studium
einen Begriff davon bekommen hat, wie man wissenschaftlich
methodisch arbeitet.
Wenn bei der erwähnten Klasse von Zuschriften die Auf-
deckung ihrer Wertlosigkeit in der Regel rasch gelingt, so
verlangt die andere Klasse wesentlich mehr Beachtung, da
es sich hier oft um durchaus ernst zu nehmende Autoren
handelt, welche auf ihrem speziellen Gebiet Vorzügliches
leisten. Je mehr sich infolge des heute notwendig gewordenen
Wissenschaftsbetriebs das Arbeitsgebiet des einzelnen ein-
engt, um so stárker macht sich bei einem tiefer veranlagten
Forscher das Bedürfnis geltend, über die Grenzen seines
Faches hinauszublicken und die Kenntnisse, die er sich dort
erworben hat, für andere Wissensgebiete nutzbar zu machen.
So verbindet er gern zwei einander fernliegende Gebiete durch
eine ihm einleuchtend erscheinende Idee und benutzt diese
dann als Brücke, um die Gesetzmäßigkeiten und Methoden,
mit denen er auf seinem eigenen Gebiet genau vertraut ist,
auf das andere Gebiet zu übertragen und zur Lósung der dort
bestehenden Probleme zu verwerten. Namentlich bei Ma-
thematikern, Physikern und Chemikern findet man hàufig
die Neigung, ihre exakten Methoden zur Klàrung biologischer,
psychologischer oder soziologischer Fragen heranzuziehen.
Aber hier ist stets wohl zu bedenken, daf) es für die Trag-
fáhigkeit einer solchen neugeschaffenen Ideenbrücke nicht
genügt, wenn ihr einer Pfeiler sicher fundiert ist. Auch ihr
anderer Pfeiler muß auf festem Grunde ruhen, sonst kann
sie ihren Zweck nicht erfüllen. Oder konkreter gesprochen:
es genügt nicht, wenn ein ideenreicher Forscher auf seinem
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