276 Ursprung und Auswirkung wissenschaftlicher Ideen
„Alles ist relativ‘. Schon innerhalb der Physik ist er un-
richtig. Alle sogenannten universellen Konstanten, wie die
Masse oder die Ladung eines Elektrons oder eines Protons
oder das elementare Wirkungsquantum, sind absolute Größen;
sie dienen als die festen unveränderlichen Bausteine für die
Atomistik. Freilich ist es oft vorgekommen, daß eine früher
als absolut betrachtete Größe sich später als relativ heraus-
gestellt hat, aber das geschah immer nur in dem Sinne, daß
sie auf eine andere, tiefer liegende absolute Größe zurück-
geführt wurde. Ohne die Voraussetzung absoluter Größen
läßt sich überhaupt kein Begriff definieren, keine Theorie
aufbauen.
Auch der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, das
Prinzip der Vermehrung der Entropie, hat mehrfach Deu-
tungen außerhalb der Physik gefunden. So hat man den
Satz, daß der Verlauf aller physikalischen Vorgänge einseitig
gerichtet ist, für den Entwicklungsgedanken in der Biologie
verwerten wollen. Das ist nun ein ganz besonders unglück-
licher Versuch, wenigstens dann, wenn man mit dem Worte
Entwicklung den Begriff des Fortschritts in aufsteigender
Richtung, also der Vervollkommnung, Veredelung, verbindet.
Denn das Entropieprinzip ist nach seinem Inhalt ein Wahr-
scheinlichkeitssatz, es besagt im Grunde nur, daß auf einen
von vornherein unwahrscheinlichen Zustand im Mittel stets
ein wahrscheinlicherer Zustand folgt. Will man dies Gesetz
biologisch deuten, so liegt es jedenfalls näher, an eine De-
generation zu denken als an eine Veredelung. Denn das
Ungeordnete, Gewöhnliche, Gemeine ist immer von vorn-
herein wahrscheinlicher als das Geordnete, Vorzügliche,
Hervorragende.
Zu den irreführenden Ideen, deren wir hier einige betrachtet
haben, gesellt sich noch eine andere Klasse von Ideen, nämlich
solche, welche genau genommen überhaupt keinen Sinn
haben. Sie spielen auch in der Physik eine nicht geringe
Rolle. So hat die Vergleichung der Bewegung eines Elektrons
um den Atomkern mit der Bewegung eines Planeten um die
Sonne zur Frage nach der Lage und nach der Geschwindigkeit
eines Elektrons Anlaß gegeben, während die spätere Forschung
gezeigt hat, daß diese Fragen gar nicht gleichzeitig beant-