18 Die Einheit des physikalischen Weltbildes
der jedoch ist das, was in der physikalischen Chemie an Ge-
dankenexperimenten dem Theoretiker zugetraut wird. Mit
seinen semipermeabeln Wänden, die in Wirklichkeit nur unter
ganz speziellen Umständen und dann nur mit gewisser An-
näherung realisierbar sind, trennt er auf reversibelm Wege
nicht nur alle beliebigen verschiedenen Molekülarten, einerlei
ob sie in stabilem oder labilem Zustand sich befinden, sondern
sogar die entgegengesetzt geladenen Ionen voneinander und
von den undissozlierten Molekülen, und er läßt sich dabei
weder durch die enormen elektrostatischen Kräfte stören,
welche sich einer solchen Trennung widersetzen, noch durch
den Umstand, daß in Wirklichkeit sofort beim Beginn der
Trennung die Moleküle sich wieder zum Teil dissoziieren, die
Ionen sich wieder zum Teil vereinigen. Solche ideale Prozesse
sind aber nach der Clausiusschen Definition durchaus not-
wendig, um die Entropie der undissoziierten Moleküle mit
der Entropie der dissoziierten Moleküle vergleichen zu kónnen.
Fürwahr, es muf) fast wundernehmen, daf) alle diese kühnen
Gedankengánge die Prüfung ihrer Resultate durch die Er-
fahrung so gut bestanden haben.
Bedenkt man aber andererseits, daß in allen Resultaten
jede Bezugnahme auf die wirkliche Ausführbarkeit jener
idealen Prozesse wieder verschwunden ist — es sind ja nur
Beziehungen zwischen direkt mefbaren Grófen, wie Tem-
peratur, Wármetónung, Konzentration usw. —, so ist die
Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daf vielleicht die
ganze vorübergehende Einführung solcher idealer Prozesse
im Grunde einen Umweg bedeutet, und daf) der eigentliche
Inhalt des Prinzips der Vermehrung der Entropie mit allen
seinen Konsequenzen von dem ursprünglichen Begriff der Irre-
versibilität oder von der Unmoglichkeit des Perpetuum mobile
zweiter Art ebensowohl losgelóst werden kann, wie das Prinzip
der Erhaltung der Energie sich losgelóst hat von dem Satz
der Unmóglichkeit des Perpetuum mobile erster Art.
Diesen Schritt: die Emanzipierung des Entropiebegriffes
von menschlicher Experimentierkunst und dadurch die Er-
hebung des zweiten Hauptsatzes zu einem realen Prinzip,
vollzogen zu haben, ist das wissenschaftliche Lebenswerk
Ludwig Boltzmanns. Es besteht, kurz gesagt, in der all-
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