Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
92 Religion und Naturwissenschaft 
Reich des Geistes kein Gebiet, das er nicht allgegenwärtig durch- 
dringt. 
Daher führt die Pflege der Religion ihre Bekenner zu einem um- 
fassenden Bunde zusammen und stellt sie vor die Aufgabe, sich über 
ihren Glauben gegenseitig zu verständigen und ihm einen gemein- 
samen Ausdruck zu geben. Das kann aber nur dadurch geschehen, 
daß der Inhalt der Religion in eine bestimmte äußere Form gefaßt 
wird, die sich durch ihre Anschaulichkeit für die gegenseitige Ver- 
ständigung eignet. Bei der großen Verschiedenheit der Völker und 
ihrer Lebensbedingungen ist es nur natürlich, daß diese anschau- 
liche Form in den einzelnen Erdteilen stark variiert und daß daher 
im Verlauf der Zeiten sehr viele Arten von Religionen entstanden 
sind. Allen Arten gemeinsam ist wohl die nächstliegende Annahme, 
sich Gott als Persönlichkeit oder wenigstens als menschenähnlich 
vorzustellen. Darüber hinaus ist für die verschiedensten Auffassun- 
gen der Eigenschaften Gottes Platz. Eine jede Religion hat ihre be- 
stimmte Mythologie und ihren bestimmten Ritus, der bei den höher 
ausgebildeten Religionen in die feinsten Einzelheiten hinein ent- 
wickelt ist. Daraus ergeben sich für die Ausgestaltung des reli- 
giösen Kultus bestimmte anschauliche Symbole, die geeignet sind, 
unmittelbar auf die Einbildungskraft weiter Kreise im Volke zu wir- 
ken, ihnen dadurch das Interesse für religiöse Fragen zu wecken und 
ein gewisses Verständnis für das Wesen Gottes nahezubringen. 
So tritt die Gottesverehrung durch die systematische Zusammen- 
fassung der mythologischen Überlieferungen und durch die Inne- 
haltung feierlicher ritueller Gebräuche symbolisch in die äußere Er- 
scheinung, und im Verlauf der Jahrhunderte steigert sich die Be- 
deutung solcher religiösen Symbole immer weiter durch unablässige 
Übung und durch regelmäßige Erziehung von Geschlecht zu Ge- 
schlecht. Die Heiligkeit der unfaßbaren Gottheit überträgt sich auf die 
Heiligkeit der faßbaren Symbole. Daraus erwachsen auch für die Kunst 
starke Antriebe, und in der Tat hat die Kunst dadurch, daß sie sich 
in den Dienst der Religion stellte, die kräftigste F örderung erfahren. 
Doch ist hier zwischen Kunst und Religion wohl zu unterscheiden. 
Das Kunstwerk hat seine Bedeutung wesentlich in sich selbst. Wenn 
es auch seine Entstehung in der Regel äußeren Umständen verdankt 
und dementsprechend häufig zu abseits führenden Ideenverbindungen 
Anlaß gibt, so findet es doch im Grunde in sich allein Genüge und 
bedarf zur rechten Würdigung keiner besonderen Interpretation. 
Am deutlichsten erkennt man das an der abstraktesten aller Künste, 
der Musik. 
Das religiöse Symbol dagegen weist stets über sich hinaus, sein 
Wert erschöpft sich niemals in sich selbst, mag es auch durch das 
Ansehen, das ihm Alter und eine fromme Tradition verleihen kann, 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
	        
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