Religion und Naturwissenschaft 99
wegung durch Reibung verlorengeht, so entsteht dafür der äqui-
valente Betrag von Wärmeenergie.
Das Energieprinzip erstreckt seine Herrschaft über sämtliche
Gebiete der Physik, und zwar nach der klassischen Theorie ebenso
wie nach der Quantentheorie. Man hat zwar öfters versucht, seine
genaue Gültigkeit für die in einem einzelnen Atom stattfindenden
Vorgänge anzuzweifeln und ihm für solche Vorgänge nur einen sta-
tistischen Charakter zuzugestehen. Aber eine genaue Kontrolle hat
in jedem bisher daraufhin geprüften Falle gezeigt, daß ein solcher
Versuch erfolglos ist und daß keine Veranlassung besteht, dem Prin-
zip den Rang eines vollkommen exakten Naturgesetzes abzusprechen.
Nun hören wir háufig von positivistisch eingestellter Seite wieder
die kritische Entgegnung: die genaue Gültigkeit eines solchen
Satzes sei durchaus nicht verwunderlich. Das Rätsel erkläre sich viel-
mehr ganz einfach durch den Umstand, daß es schließlich der Mensch
selber ist, welcher der Natur ihre Gesetze vorschreibe. Und bei
dieser Behauptung beruft‘ man sich sogar auf die Autorität von
Immanuel Kant.
Nun, daß die Naturgesetze nicht von den Menschen erfunden wor-
den sind, sondern daß. ihre Anerkennung ihnen von außen auf-
gezwungen wird, haben wir wohl schon ausführlich genug besprochen.
Von vornherein könnten wir uns die Naturgesetze, ebenso wie die
Werte der universellen Konstanten auch ganz anders denken, als
sie in Wirklichkeit sind. Was aber die Berufung auf Kant betrifit,
so liegt hier ein grobes Mißverständnis vor. Denn Kant hat nicht
gelehrt, daß der Mensch der Natur ihre Gesetze schlechthin vor-
schreibt, sondern er hat gelehrt, daß der Mensch bei der Formulie-
rung der Naturgesetze auch etwas aus Eigenem hinzufügt. Wie wäre
es sonst auch denkbar, daß Kant nach seinem eigenen Ausspruch
durch keinen äußeren Eindruck sich zu tieferer Ehrfurcht gestimmt
fühlte als durch den Anblick des gestirnten Himmels? Man pflegt
doch einer Vorschrift, die man selber verfaßt hat, nicht gerade die
allertiefste Ehrfurcht entgegenzubringen. Dem Positivisten freilich
ist eine solche Ehrfurcht fremd. Für ihn sind die Sterne nichts weiter
als optische Empfindungskomplexe, alles andere ist nach seiner Mei-
nung nützliche, aber im Grunde willkürliche und entbehrliche Zutat.
Doch wir wollen jetzt den Positivismus beiseite lassen und unseren
Gedankengang weiter verfolgen. Das Energieprinzip ist ja nicht das
einzige Naturgesetz, sondern nur eines unter mehreren. Es gilt zwar
in jedem einzelnen Fall, aber es genügt noch lange nicht, um den
Ablauf eines Naturvorganges in allen Einzelheiten vorauszuberech-
nen, da es noch unendlich viele Möglichkeiten offen läßt.
Es gibt indessen ein anderes, viel umfassenderes Gesetz, welches
die Eigentümlichkeit hat, daß es auf jedwede den Verlauf eines
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