Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

    
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
     
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
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Religion und Naturwissenschaft 
manche heutzutage glauben oder fürchten, sondern sie ergänzen und 
bedingen einander. Wohl den unmittelbarsten Beweis für die Ver- 
träglichkeit von ‚Religion und Naturwissenschaft auch bei gründlich- 
kritischer Betrachtung bildet die historische Tatsache, daß gerade 
die größten Naturforscher aller Zeiten, Männer wie Kepler, Newton, 
Leibniz von tiefer Religiosität durchdrungen waren. Zu Anfang un- 
serer Kulturepoche waren die Pfleger der Naturwissenschaft und die 
Hüter der Religion sogar durch Personalunion verbunden. Die älteste 
angewandte Naturwissenschaft, die Medizin, lag in den Händen der 
Priester, und die wissenschaftliche Forschungsarbeit wurde noch im 
Mittelalter hauptsächlich in den Mönchszellen betrieben. Später, bei 
der fortschreitenden Verfeinerung und Verästelung der Kultur, 
schieden sich die Wege allmählich immer schärfer voneinander, ent- 
sprechend der Verschiedenheit der Aufgaben, denen Religion und 
Naturwissenschaft dienen. 
Denn so wenig sich Wissen und Können durch weltanschauliche 
Gesinnung ersetzen lassen, ebensowenig kann die rechte Einstellung 
zu den sittlichen Fragen aus rein verstandesmäßiger Erkenntnis ge- 
wonnen werden. Aber die beiden Wege divergieren nicht, sondern 
sie gehen einander parallel, und sie treffen sich in der fernen Un- 
endlichkeit an dem nämlichen Ziel. 
Um dies recht einzusehen, gibt es kein besseres Mittel, als das 
fortgesetzte Bemühen, das Wesen und die Aufgaben einerseits der 
naturwissenschaftlichen Erkenntnis, andererseits des religiösen Glau- 
bens immer tiefer zu erfassen. Dann wird sich in immer wachsender 
Klarheit herausstellen, daß, wenn auch die Methoden verschieden 
sind — denn die Wissenschaft arbeitet vorwiegend mit dem Ver- 
stand, die Religion vorwiegend mit der Gesinnung —, der Sinn der 
Arbeit und die Richtung des Fortschrittes doch vollkommen mitein- 
ander übereinstimmen. 
Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skep- 
tizismus und gegen Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aber- 
glaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen, und 
das richtungweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher 
und in alle Zukunft: Hin zu Gott! 
    
	        
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