108 Determinismus oder Indeterminismus?
diesem Standpunkt aus gesehen ist also das morgige Wetter „in
Wirklichkeit“ indeterminiert, fiir jetzt und wohl auch fiir alle ab-
sehbaren Zeiten.
Um derartige Zweideutigkeiten zu vermeiden, wird es sich in die-
sem wie in anderen Füllen empfehlen, Worte wie ,wirklich* oder
„scheinbar“ oder „als ob‘, falls ihr Sinn nicht ohne weiteres deutlich
ist, ganz zu vermeiden und an ihrer Stelle diejenigen Voraussetzun-
gen ausdrücklich zu bezeichnen, die man jeweils mit ihnen verbindet.
Erst dann erhält die betreffende Aussage eine unmißverständliche
Bedeutung. Auf unseren Fall angewendet werden wir dann das Fol-
gende als eindeutiges und einwandfreies Ergebnis dieser Betrach-
tung aussprechen dürfen: je nachdem man für die Bestimmung des
Wetters die genaue Anwendung der physikalischen Gesetze oder
aber die tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel der Meteo-
rologie als Voraussetzung zugrunde legt, ist das morgige Wetter als
determiniert oder als nicht determiniert zu bezeichnen. Solange aber
eine ausdrückliche Angabe über jene Voraussetzung fehlt, darf man
die Frage, ob determiniert oder nicht, weder mit Ja noch mit Nein
beantworten. Sie hat dann überhaupt keinen Sinn, und der Streit
darüber kann endlos dauern.
Ganz dasselbe gilt für die Determiniertheit anderer Ereignisse.
Auch bei dem früher von mir erwähnten Lotteriespiel hat die Frage,
ob die Nummer des gezogenen Loses in Wirklichkeit gesetzlich
determiniert ist oder ob sie dem Zufall entspringt, eine verschiedene
Bedeutung, je nach den Voraussetzungen, die man mit dem Worte
„Wirklichkeit“ verbindet. Wenn man die genaue Berücksichtigung
sowohl der Lagerung aller einzelnen Losnummern in der Urne als
auch der Bewegungen der das Los herausgreifenden Hand zur Vor-
aussetzung macht, so ist die gezogene Nummer vollständig determi-
niert; im anderen Falle ist sie indeterminiert und dem Zufall über-
lassen. Von jeder der beiden einander entgegenstehenden Voraus-
setzungen könnte man mit gewissem Rechte behaupten, daß sie der
Wirklichkeit entspricht, und man sieht auch hier wieder, daß es sich
zur Vermeidung von Mißverständnissen stets empfiehlt, sich nicht
einfach auf die „Wirklichkeit“ zu berufen.
Dieser Sachverhalt liegt so offen und klar, daß seine Darlegung
ganz gewiß ohne Nachteil auch wesentlich kürzer von mir hätte ge-
faßt werden können. Ich bin nur deshalb ausführlicher darauf ein-
gegangen, weil die besprochenen Beispiele eine zweckmäßige Vor-
bereitung bilden dürften für die Behandlung von Fällen, bei denen
die Verhältnisse verwickelter liegen und nicht so leicht auf den
ersten Blick zu überschauen sind.