120 Determinismus oder Indeterminismus?
beit Temperaturdifferenzen oder Dichtigkeitsdifferenzen zu erzeugen.
Maxwell denkt sich nun ein mit Gas in thermischem Gleichgewicht
gefülltes Gefäß in zwei Kammern geteilt durch eine Scheidewand, in
welcher sich ein kleines Loch befindet. In jeder der beiden Kammern
fliegen die Gasmoleküle mit großen Geschwindigkeiten zwischen den
Wänden hin und her. Wenn einmal ein Molekül zufällig auf das Loch
trifft, fliegt es durch das Loch hindurch in die andere Kammer. Nun
möge ein scharfsinniges Wesen, welches die einzelnen Gasmoleküle
sehen kann, das Loch abwechselnd öffnen oder verschließen, und
zwar in der Weise, daß nur den schneller fliegenden Molekülen ge-
stattet ist, aus der ersten Kammer in die zweite überzugehen, und
nur den langsameren umgekehrt aus der zweiten Kammer in die
erste überzugehen. Dies Wesen wird daher ohne Aufwand von Ar-
beit die Gastemperatur in der zweiten Kammer steigern und in der
ersten Kammer erniedrigen, im Widerspruch mit dem zweiten Haupt-
.satz der Würmetheorie. Denn das Öffnen und Schließen des Loches
erfordert keine mechanische Arbeitsleistung, sondern nur Intelligenz-
betätigung.
Man könnte die Paradoxie noch weiter auf die Spitze treiben durch
die Annahme, daß es dem vernünftigen Wesen einfiele, das Loch
allen Molekülen offenzuhalten, die von der Seite der ersten Kammer
kommen, dagegen alle Moleküle, die aus der zweiten Kammer kom-
men, an dem verschlossenen Loch abprallen zu lassen. Dann würde
nach einiger Zeit die erste Kammer vollkommen evakuiert sein und
das ganze Gas sich in der zweiten Kammer befinden, ohne daß die
geringste Arbeit aufgewendet worden wäre.
Aus diesem Gedankenexperiment geht hervor, daß der Inhalt des
zweiten Hauptsatzes statistischer Art ist. Denn er bezieht sich nur
auf Vorgänge, an.denen eine große Anzahl von Molekülen beteiligt
sind, Jäßt aber die Bewegungen einzelner Moleküle indeterminiert —
ein weiteres eindrueksvolles Beispiel für unseren Satz, da} die Frage
nach der Art der Gesetzlichkeit eines Vorganges verschieden zu be-
antworten ist je nach den Voraussetzungen, die man seiner Betrach-
tung zugrunde legt. Wenn man nur die Hauptsitze der Wärme-
theorie benützt, sind die Bewegungen der einzelnen Moleküle in-
determiniert, wenn man aber die Wechselwirkungen der Moleküle
mit zur Betrachtung heranzieht, hindert nichts, solehe Annahmen zu
machen, daf? der ganze Vorgang vollkommen determiniert ist.
Es ist bekannt, weleh weittragende Folgerungen diese von Max-
well eingeschlagenen Gedankengünge für die fernere Entwicklung
der Wärmetheorie nach sich gezogen haben, Folgerungen, die schliefi-
lich gipfelten in der grofien Entdeckung Ludwig Boltzmanns, der Er-
kenntnis des Zusammenhangs zwischen Entropie und Wahrscheinlich-
keit. Auch zu dieser Erkenntnis diente als Brücke ein freies Ge-