128 Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft
geht es an die Formung seines Weltbildes. Zu diesem Zweck richtet
es seine Aufmerksamkeit auf die Eindrücke, die es durch seine
Sinnesorgane empfängt, es sucht sie zu ordnen und macht dabei aller-
lei Entdeckungen, so z. B. die, daß die an sich so verschiedenartigen
Eindrücke des Sehens, Tastens, Hörens doch in gewisser regel-
mäßiger Weise zusammenhängen. Gibt man dem Kind ein Spielzeug,
etwa eine Klapperbüchse, in die Hand, so ist mit der Gesichtsempfin-
dung immer auch eine entsprechende Tastempfindung verbunden, und
bewegt es die Büchse hin und her, so entsteht regelmäßig eine be-
stimmte Gehörsempfindung.
Wenn in diesem Falle die verschiedenen, voneinander unab-
hängigen Sinnenwelten gewissermaßen ineinandergreifen, so entdeckt
das Kind in anderen Füllen, was ihm nicht minder merkwürdig vor-
kommt, dafh gewisse Eindrücke, die aus der nämlichen Sinnenwelt
kommen und die vollstándig miteinander übereinstimmen, dennoch
total verschiedenen Charakter haben kónnen. So kann es z. D. ge-
schehen, daf im Sehbereich des Kindes sich eine runde Lampen-
glocke befindet, deren Schein ganz dem des Vollmondes gleicht. Die
Lichtempfindung kann genau die nàmliche sein. Aber das Kind findet
doch einen großen Unterschied, denn die Lampenglocke kann es
betasten, den Mond aber nicht, um die Lampenglocke kann es herum-
gehen, um den Mond kann es aber nicht herumgehen.
Was denkt nun das Kind bei diesen Entdeckungen? Zunächst wun-
dert es sich. Dieses Gefühl des Sich-Wunderns ist der Ursprung und
die nie versiegende Quelle seines Erkenntnistriebes. Es drängt das
Kind unwiderstehlich dazu, das Geheimnis zu lüften, und wenn es
dabei auf einen ursächlichen Zusammenhang stößt, so wird es nicht
müde, das nämliche Experiment zehnmal, hundertmal zu wiederholen,
um immer wieder von neuem den Reiz der Entdeckung auszukosten.
Auf diese Weise gelangt das Kind in unablässiger täglicher Arbeit,
die ich nicht weiter im einzelnen zu schildern brauche, allmählich zur
Ausgestaltung seines Weltbildes bis zu dem Grade, wie es dessen
für das praktische Leben bedarf.
Je reifer das Kind wird, je vollkommener sein Weltbild wird, um
so weniger häufig hat es Anlaß, sich zu wundern, und wenn das Kind
erwachsen ist und sein Weltbild eine feste Form angenommen hat,
findet es diese Form selbstverständlich und hört auf, sich zu wun-
dern. Hat das darin seinen Grund, daß der Erwachsene den, Zu-
sammenhang und die Notwendigkeit der Struktur seines Weltbildes
vollständig erkannt hat? Nichts wäre unrichtiger als eine derartige
Annahme. Nein, nicht deshalb hat der Erwachsene verlernt, sich zu
wundern, weil er das Wunderrätsel gelöst hat, sondern deshalb, weil
er sich an die Gesetze seines Weltbildes gewöhnt hat: Warum aber
gerade diese und keine anderen Gesetze bestehen, bleibt für ihn