136 Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft
beit ihren Anfang nahm, sind vollständig aus dem Weltbild ver-
schwunden, vom Sehen, Hören, Tasten ist darin nicht die Rede. Statt
dessen gewahren wir, wenn wir einen Blick in die Arbeitsstätten der
Forschung werfen, eine Anhäufung von äußerst komplizierten und
unübersichtlichen, schwer zu handhabenden Meßgeräten, erdacht und
konstruiert zur Bearbeitung von Problemen, die nur mit Hilfe von
abstrakten Begriffen, von mathematischen und geometrischen Sym-
bolen, formuliert werden können, und die dem Laien oft überhaupt
nicht verständlich sind. Man könnte an dem Sinn der exakten Wissen-
schaft irre werden, und es ist ja auch, wie wir schon bemerkten, in
diesem Zusammenhang gegen sie der Vorwurf erhoben worden, daß
sie mit ihrer ursprünglichen Anschaulichkeit auch ihren festen Halt
verloren habe. Wer trotz aller angeführten Gründe bei dieser Mei-
nung verharrt, dem ist nicht zu helfen, es wird ihm aber schwerlich
gelingen, ebensowenig wie einem Experimentator, der grundsätzlich
nur mit primitiven Apparaten arbeiten will, die exakte Wissenschaft
wesentlich zu fördern. Denn um dies fertigzubringen, dazu genügt
nicht eine geniale Intuition und ein frisches Zupacken, sondern dazu
gehört auch sehr verwickelte, mühselige und entsagungsvolle Klein-
arbeit, in der oft zahlreiche Forscher zusammenwirken müssen, um
für ihre Wissenschaft den Aufstieg auf die nächst höhere Entwick-
lungsstufe schrittweise vorzubereiten. Wohl bedarf der Pionier der
Wissenschaft, wenn seine Gedanken ihre tastenden Fühler aus-
strecken, einer lebendigen Anschauung; denn neue Ideen entspringen
nieht dem rechnenden Verstand, sondern der künstlerisch schaffen-
den: Phantasie, aber für den Wert einer neuen Idee maßgebend ist
allemal nicht der Grad der Anschaulichkeit, die überdies zu ihrem
wesentlichen Teil Sache der Übung und der Gewohnheit ist, sondern
der Umfang und die Genauigkeit der einzelnen gesetzlichen Zu-
sammenhänge, zu deren Entdeckung sie führt.
Freilich wird mit jedem Fortschritt auch die Schwierigkeit der
Aufgabe immer größer, die Anforderungen an die Leistungen des
Forschers immer stärker, und es stellt sich immer dringender die
Notwendigkeit einer zweckmäßigen Arbeitsteilung ein. Vor allem hat
sich seit etwa einem Jahrhundert die Teilung in Experiment und Theorie
vollzogen. Der Experimentator steht in vorderster Linie. Er ist es,
der die entscheidenden Versuche und Messungen ausführt. Ein Ver-
such bedeutet die Stellung einer an die Natur gerichteten Frage, und
eine Messung bedeutet die Entgegennahme der von der Natur darauf
erteilten Antwort. Aber ehe man einen Versuch ausführt, muß man
ihn ersinnen, d. h. man muß die Frage an die Natur formulieren, und
ehe man eine Messung verwertet, muß man sie deuten, d. h. man muß
die von der Natur erteilte Antwort verstehen. Mit diesen beiden
Aufgaben beschäftigt sich der Theoretiker und ist dabei in immer
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