Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

  
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6 Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen Naturanschauung 
bild zu einer gewissen idealen Vollendung gebracht worden. Die 
Hertzsche Mechanik ist nicht eigentlich aktuelle Physik, sie ist Zu- 
kunftsphysik oder sozusagen eine Art physikalisches Glaubens- 
bekenntnis. Sie stellt ein Programm auf von erhabener Konsequenz 
und Harmonie, das alle früheren auf das gleiche Ziel gerichteten 
Versuche hinter sich läßt. Hertz begnügt sich námlich nicht damit, 
die vollständige Durchführbarkeit der mechanischen Naturanschauung 
auf Grund der Annahme von Bewegungen einfacher gleichartiger 
Massenpunkte, der einzigen wahren Bausteine des ganzen physika- 
lischen Universums, zu postulieren, er geht noch über den von H el m- 
holtz in seiner Erhaltung der Kraft vertretenen Standpunkt insofern 
hinaus, als er den Unterschied zwischen potentieller und kinetischer 
Energie und damit alle Probleme, welche die Untersuchung der spe- 
ziellen Energieart betreffen, von vornherein eliminiert. Nach Hertz 
gibt es nicht nur eine einzige Art von Materie, den Massenpunkt, 
sondern auch nur eine einzige Art von Energie, die kinetische. Alle 
anderen Energien, die wir z. B. als potentielle Energie, als elektro- 
magnetische, chemische, thermische Energie bezeichnen, sind in 
Wahrheit kinetische Energie der Bewegungen unsichtbarer Massen- 
punkte, und was das Verhalten dieser Energien so verschieden macht, 
sind einzig und allein die festen Koppelungen, welche in der Natur zwi- 
schen den Lagen und den Geschwindigkeiten der betreffenden Massen- 
punkte bestehen. Diese Koppelungen beeinträchtigen die Gültigkeit 
des Energieprinzips in keiner Weise, da sie nur für die Richtung der 
Bewegungen, nicht aber für die Größe der lebendigen Kräfte von 
Einfluß sind, ebenso etwa, wie ein fahrender Eisenbahnzug durch die 
Krümmung der Schienen wohl abgelenkt, aber nicht verlangsamt wird. 
Alle Bewegungen in der Natur beruhen daher nach Hertz im letzten 
Grunde ausschließlich auf der Trägheit der Materie. Ein gutes Bei- 
spiel für diese Anschauung liefert die kinetische Gastheorie, welche 
die bis dahin als potentiell angesehene elastische Energie der ruhenden 
Gasteilchen ersetzt durch die kinetische Energie der bewegten Gas- 
teilchen. Diese radikale Vereinfachung der Annahmen bringt es mit 
sich, daß die Sätze der Hertz schen Mechanik sich einer wunderbaren 
Einfachheit und Übersichtlichkeit erfreuen. 
Aber bei näherer Betrachtung erweisen sich die Schwierigkeiten 
nicht behoben, sondern nur zurückgeschoben, und zwar zurückgescho- 
ben in ein der experimentellen Prüfung fast unzugängliches Gebiet. 
Hertz selber mochte dies gefühlt haben; denn er hat, wie auch 
Helmholtz in seiner Vorrede zu dem nachgelassenen Werk betont, 
niemals auch nur den Versuch gemacht, in einem bestimmten ein- 
fachen Fall die Art der von ihm eingeführten unsichtbaren Bewegun- 
gen mit ihren eigenartigen Koppelungen anzudeuten. Auch heute sind 
wir in dieser Richtung nicht um einen Schritt weitergekommen; im
	        
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