Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
  
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Das Wesen des Lichts 
entgegengesetzten Richtung ebenbürtig zur Seite durch die Ent- 
deckung der Róntgenstrahlen und der noch erheblich schneller schwin- 
genden sogenannten Gammastrahlen radioaktiver Substanzen. Auch 
diese Strahlen haben ganz den Charakter der Lichtwellen, es sind 
ebenfalls elektromagnetische Sehwingungen, nur von ungeheuer viel 
kürzerer Wellenlänge; daß sie auch den nämlichen Gesetzen gehor- 
chen, wurde durch die jüngste Lauesche Entdeckung der Inter- 
ferenzerscheinungen bei Röntgenstrahlen noch besonders bekräftigt. 
Es ist bemerkenswert, wie leicht und sozusagen geräuschlos sich in 
der physikalischen Literatur der Übergang von der mechanischen zu 
der elektromagnetischen Betrachtungsweise vollzog — ein gutes Bei- 
spiel dafür, daß der Kern einer physikalischen Theorie nicht in den 
Anschauungen liegt, von denen sie ausgeht, sondern in den Gesetzen, 
zu denen sie führt. Die Grundgleichungen der Optik blieben bestehen; 
sie waren ja auch in Übereinstimmung mit der Erfahrung; aber sie 
wurden nun nicht mehr mechanisch gedeutet, so wie sie abgeleitet 
worden waren, sondern elektromagnetisch, und dadurch erweiterte 
sich ihr Anwendungsbereich ins Ungeheure. 
Es ist nicht das erstemal, daß ein wichtiges, weitgestecktes Ziel 
erreicht worden ist auf einem Wege, der sich hinterher als unzu- 
verlássig erwiesen hat. Man kónnte versucht sein, daraus den Schluf 
zu ziehen, daf die Theorie besser tite, von der Ausarbeitung spe- 
zieller, über die unmittelbare Erfahrung hinausgehender Hypothesen 
überhaupt abzusehen und sich auf das rein Tatsáchliche, d. h. auf die 
Ergebnisse der Messungen, zu beschrünken. Indessen würde sie da- 
durch gerade das wichtigste Hilfsmittel aus der Hand geben, das sie 
zum Vorwürtskommen unbedingt nótig hat: die Aufstellung und 
folgerichtige Entwicklung von Gedanken, die weiterführen. Hierzu 
bedarf es nicht nur des Verstandes, sondern auch der Phantasie. In 
der Tat: Mag auch die mechanische Lichttheorie heute ihren Dienst 
getan haben, ohne sie wäre die Optik sicherlich nicht so schnell zur 
heutigen Blüte gelangt. 
Auch die Huygenssche Undulationstheorie hat nach der elektro- 
magnetischen Anschauung ihren wesentlichen Inhalt unverändert be- 
wahrt, welcher besagt, daß eine jede Störung sich vom Erregungs- 
zentrum aus nach allen Richtungen in konzentrischen Kugelwellen 
ausbreitet. Nur ist das, was sich ausbreitet, nicht mehr mechanische, 
sondern elektromagnetische Energie, da an die Stelle der perio- 
dischen Átherschwingungen die hin und her sehwankende elektrische 
und magnetische Feldstärke tritt. 
Von dem so gewonnenen höheren Standpunkt aus gewährt uns die 
Lehre vom Licht, oder, wie man jetzt häufig deutlicher sagt, die Lehre 
von der strahlenden Energie, das Bild eines ebenso festgefügten wie 
einheitlichen und abgeschlossenen Riesenbaues, in welchem alle
	        
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