Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

     
ie 
ie 
it 
    
Die Physik im Kampf um die Weltanschauung 55 
Querschnitten ordnen, mag man nach politischen, ethnographischen, 
linguistischen, sozialen, wirtschaftlichen Gesichtspunkten einteilen, 
stets ist man genötigt, Grenzlinien zu ziehen und Unterschiede ein- 
zuführen, die sich bei genauerer Betrachtung als fließend und als un- 
zureichend erweisen, da es eben keinerlei Art von Einteilung gibt, 
bei der nicht Verwandtes getrennt, Zusammengehöriges auseinander- 
gerissen wird. So trägt eine jegliche Wissenschaft schon in ihrem 
Aufbau einen willkürlichen und daher vergänglichen Zug an sich, 
und das wird sich niemals ändern, weil es in der Natur der Sache 
liegt. 
Wenn wir uns nun speziell der Physik zuwenden, so steht auch 
hier am Anfang der wissenschaftlichen Forschung die Aufgabe, die 
zu untersuchenden Vorgänge in verschiedene Gruppen einzuordnen. 
Da nun der Ursprung aller physikalischen Erfahrungen in unsern 
Sinnesempfindungen liegt, so bot sich als erstes Einteilungsprinzip 
die Unterscheidung nach den einzelnen menschlichen Sinnesorganen 
dar, und die physikalische Wissenschaft wurde eingeteilt in Me- 
chanik, Akustik, Optik, Wärme, die man als getrennte Gebiete be- 
handelte. Aber im Lauf der Zeit zeigte es sich, daß zwischen ein- 
zelnen Teilen verschiedener Gebiete innige Zusammenhänge be- 
stehen, und daß die Aufstellung genauer physikalischer Gesetze viel 
besser gelingt, wenn man von den Sinnesorganen zunächst absieht 
und die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Vorgänge außerhalb 
der Sinnesorgane richtet, wenn man z. B. die von einem tónenden 
Körper ausgehenden Schallwellen ganz unabhängig vom Ohr, die von 
einem glühenden Körper ausgehenden Lichtstrahlen unabhängig vom 
Auge behandelt. Das führt zu einer andersartigen Einteilung der 
Physik, bei welcher einzelne Gebiete eine Umgruppierung erfahren; 
indem die Sinnesorgane ganz in den Hintergrund treten. So wurden 
nun die Wärmestrahlen, wie sie etwa von einem geheizten Kachel- 
ofen ausgesendet werden, ganz aus der Wärmelehre herausgenom- 
men und der Optik zugeteilt, um dort als völlig gleichartig mit den 
Lichtstrahlen behandelt zu werden. Gewiß liegt in einer solchen Um- 
stellung, welche die Sinnesempfindung völlig ignoriert, etwas Ein- 
seitiges und Gewaltsames. Dem Sinnesmenschen Goethe wire. sie 
ein Greuel gewesen. Denn in seinem stets aufs Ganze gerichteten 
Blick hielt er fest an dem Primat der unmittelbaren Empfindung 
und konnte daher niemals einwilligen in eine Trennung des Seh- 
organs von der Lichtquelle. 
Wir’ nicht das Auge sonnenhaft, 
Wie kónnten wir das Licht erblicken? 
Und doch hätte Goethe ein Jahrhundert später den milden Glanz 
einer Glühlampe an seinem Schreibtisch sich vermutlich doch wohl
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.