Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

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Vom Wesen der Willenstreiheit 71 
Wie schwierig es ist, eine befriedigende Antwort auf diese Frage 
zu gewinnen, beweist der Umstand, daß einige namhafte Physiker 
gegenwärtig der Meinung sind, man müsse, um die Willensfreiheit zu 
retten, das Kausalgesetz zum Opfer bringen, und daher kein Be- 
denken tragen, die bekannte Unsicherheitsrelation der Quanten- 
mechanik, als eine Durchbrechung des Kausalgesetzes, zur Erklä- 
rung der Willensfreiheit heranzuziehen. Wie sich allerdings die 
Annahme eines blinden Zufalls mit dem Gefühl der sittlichen Ver- 
antwortung zusammenreimen soll, lassen sie dahingestellt. 
Demgegenüber habe ich schon vor mehreren Jahren zu zeigen ver- 
sucht, wie man vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus, ohne 
die Voraussetzung einer universellen strengen Kausalität preis- 
zugeben, sehr wohl zu einem Verständnis für die Tatsache der 
Willensfreiheit und des sittlichen Verantwortungsgefühls gelangen 
kann. 
Dies des näheren auszuführen, soll der vornehmste Zweck meiner 
heutigen Darlegungen sein. 
I. 
Um für unsere Gedankengünge einen festen Ausgangspunkt zu 
gewinnen, beginnen wir mit einer wissenschaftlichen Betrachtung. 
Wenn es die Aufgabe der Wissenschaft ist, bei allem Geschehen 
in der Natur oder im menschlichen Leben nach gesetzlichen Zu- 
sammenhüngen zu suchen, so ist, wie wohl jeder zugeben muß, eine 
unerláfliche Voraussetzung dabei, daf) ein solcher gesetzlicher Zu- 
sammenhang wirklich besteht und dafs er sich in deutliche Worte 
fassen läßt. In diesem Sinn sprechen wir auch von der Gültigkeit 
eines allgemeinen Kausalgesetzes und von der Determinierung sämt- 
licher Vorgänge in der natürlichen und in der geistigen Welt durch 
dieses Gesetz. 
Was heißt nun aber: ein Vorgang, ein Ereignis, eine Handlung 
erfolgt mit gesetzlicher Notwendigkeit, ist kausal determiniert? und 
wie stellt man die gesetzliche Notwendigkeit eines Vorganges fest? 
Ich wüßte nicht, wie man für die Notwendigkeit eines Vorganges 
einen deutlicheren und überzeugenderen Nachweis erbringen kann 
als dadurch, daß die Möglichkeit besteht, das‘ Eintreten des be- 
treffenden Vorganges vorauszusehen. Die Frage nach dem Wesen 
und nach dem Ursprung der Kausalität kann dabei ganz offen blei- 
ben. Es genügt uns hier allein die Feststellung, daß ein Vorgang, 
welcher mit Sicherheit vorausgesehen werden kann, irgendwie kausal 
determiniert ist, und umgekehrt, daß, wenn man von kausaler Ge- 
bundenheit eines Vorganges redet, dies immer zugleich auch in sich 
schließt, daß das Eintreten des Vorganges vorausgesehen werden 
kann, natürlich nicht von jedermann, wohl aber von einem Beobachter, 
  
 
	        
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