80 Vom Wesen der Willensfreiheit
ich keine treffendere Illustration als jenen Ausspruch, mit dem ein-
mal eine Dame, allerdings schon vor Jahren, eine ihr zuteil gewor-
dene gründliche wissenschaftliche Aufklärung quittierte: ,Ja, das
habe ich jetzt alles sehr gut verstanden. Aber glauben tue ich’s doch
nicht.“
Bei alledem bleibt doch unser Wille ebenso wie unser Charakter
streng kausal bedingt. Wir müssen nur, damit das Kausalgesetz
einen Sinn hat, die Möglichkeit eines Beobachters voraussetzen, der |
unseren gesamten körperlichen und seelischen Zustand, den bewußten
und den unterbewußten, restlos zu durchschauen vermag. Wer aber
so kurzsichtig oder so überheblich ist, daß er einen solchen Beob-
achter für undenkbar erklärt, der beweist damit nur, daß es ihm
entweder an der Einbildungskraft oder an der Ehrfurcht mangelt,
welche nun einmal für die Eignung zu einer ersprießlichen Beschäf-
tigung mit den tiefsten Fragen der Erkenntnis und der Ethik unerläß-
liche Voraussetzung ist.
V.
Nach dem Ergebnis unserer Untersuchung ist der Gegensatz zwi-
sehen strenger Kausalität und Willensfreiheit nur ein scheinbarer,
die Schwierigkeit liegt lediglich in der sinngemüflen Formulierung
des Problems. Denn die Antwort auf die Frage, ob der Wille kausal
gebunden ist oder nicht, lautet verschieden, je nach dem Standort,
der für die Betrachtung gewählt wird. Von außen, objektiv betrach-
tet, ist der Wille kausal gebunden; von innen, subjektiv betrachtet,
ist der Wille frei. Oder anders gefaßt: Fremder Wille ist kausal
gebunden, jede Willenshandlung eines andern Menschen läßt sich,
wenigstens grundsätzlich, bei hinreichend genauer Kenntnis der Vor-
bedingungen, als notwendige Folge aus dem Kausalgesetz verstehen
und in allen Einzelheiten vorausbestimmen. Inwieweit das praktisch
geschehen kann, ist lediglich eine Frage der Intelligenz des Be-
obachters. Der eigene Wille dagegen ist nur für vergangene Hand-
lungen kausal verständlich, für zukünftige Handlungen ist er frei,
eine eigene zukünftige Willenshandlung läßt sich unmöglich, auch
bei noch so hoch ausgebildeter Intelligenz, rein verstandesmäßig aus
dem gegenwärtigen Zustand und den Einflüssen der Umwelt ableiten.
Gegen diese Formulierung ist ein Einwand naheliegend, den ich
hier einer genaueren Betrachtung unterziehen möchte. Man hat etwa
folgendes geltend gemacht: Nachdem zu Anfang unserer Betrach-
tungen das Kausalgesetz als Voraussetzung jeder wissenschaftlichen
Untersuchung eingeführt und für alle Willenshandlungen als streng
gültig befunden worden sei, werde nachträglich doch wieder der
Indeterminismus durch eine Hintertür hereingelassen und ihm ein
gewisser Platz eingeräumt. Darin liege ein Widerspruch oder zum