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Vom Wesen der Willensfreiheit
liegende Erklärung finden kann, die wenigstens die Ehrlichkeit der
Betroffenen unangetastet läßt. Sie besteht darin, daß bei ihnen die
aus ihrer Ethik der Lebensverneinung stammenden Willensmotive
kompensiert und überwunden werden durch kräftigere entgegen-
gesetzt gerichtete Motive, die dem im Unterbewußtsein schlummern-
den natürlichen Triebe zur Selbsterhaltung und Selbstbehauptung
entspringen — ein weiterer Beleg für die allgemeine Wahrheit, daß
der aus dunkler Tiefe aufsteigende Wille des Menschen stärker ist
als sein bewußt abwägender Verstand. Dieser Satz bildet ja, wie wir
sahen, die Grundlage für die Freiheit des eigenen Willens. Nicht die
auf verstandesmäßige Überlegungen sich stützende wissenschaftliche
Erkenntnis, sondern der auf ethische Ziele hin gerichtete freie Wille
ist es, der unseren Handlungen im Leben tatsächlich die Richtung
weist.
So trägt ein jeder sein Schicksal frei in seiner Hand. Wir können
unmöglich die gesetzliche Abwickelung unserer eigenen Lebens-
kämpfe als aufmerksame aber neutrale Zuschauer betrachten, son-
dern wir stehen selber als aktive Mitstreiter im Kampf und sind da-
her stets gezwungen, nach freiem Ermessen Partei zu nehmen. Kein
Fatalismus kann uns unserer Verantwortung dabei entheben.
Wenn wir als Fatalisten die Hände in den Schoß legen wollten
und abwarten, was passiert, in der Meinung, daß es sich nicht ver-
lohne, über unsere zukünftigen Handlungen nachzudenken, da diese
doch durch das Kausalgesetz genau vorherbestimmt seien, so würden
wir uns einer verhängnisvollen Selbsttäuschung hingeben. Denn tat-
sächlich würden wir mit diesem Entschluß eine freie Willensentschei-
dung treffen. Gegen solche moralische Verirrungen bildet den natür-
lichsten und zugleich stärksten Schutz die Stimme des eigenen Ge-
wissens. Aber auch derjenige, welchem eine einseitige Naturanlage
oder eine allzu liebevolle Beschäftigung mit unreifen sozialen Theo-
rien die Unbefangenheit getrübt und die natürlichen Hemmungen
beseitigt hat, sollte sich wenigstens verstandesmäßig klarmachen,
daß das Kausalgesetz, welches, wie wir gesehen haben, in der An-
wendung auf unseren eigenen gegenwärtigen Seelenzustand ohne
jeden Sinn ist, unmöglich. herangezogen werden kann, um uns von
der vollen sittlichen Verantwortung für Handlungen, die wir zu be-
gehen im Begriff sind, zu entlasten. Auf der anderen Seite verleiht
uns der Umstand, daß wir eigene zukünftige Handlungen niemals
rein kausal begreifen können, das wohlbegründete Recht, unserer
Phantasie freien Spielraum zu gewähren, und hält selbst dem kühn-
sten Optimismus für die Zukunft das Tor offen.
Erst wenn eine Handlung vollzogen ist und somit der Vergangen-
heit angehört, sind wir zu dem Versuch berechtigt, sie von rein kau-
salen Gesichtspunkten aus zu verstehen. Die Einsicht, daß wir auch