Full text: Wege zur physikalischen Erkenntnis (Band 2)

    
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Religion und. Naturwissenschaft 89 
persönlich erfaßt und in seinem eigenen Innern eine heimliche Span- 
nung erregt, so ist es diese bange Gewissensfrage des um ihr junges 
Glück besorgten unschuldigen Mädchens an den ihr als höhere 
Autorität geltenden Geliebten. Denn es ist dieselbe Frage, die seit 
jeher ungezählte nach Seelenfrieden und zugleich nach Erkenntnis 
dürstende Menschenkinder innerlich bewegt und bedrängt. 
Faust aber, durch die naive Frage etwas in Verlegenheit gebracht, 
weiß zunächst nur leise abwehrend zu erwidern: „Will niemand. sein 
Gefühl und seine Kirche rauben.“ 
Keinen besseren Spruch kónnte ich dem vorausschicken, was ich 
Ihnen, meine hochverehrten Damen und Herren, heute sagen möchte. 
Es liegt mir auch der leiseste Versuch fern, denjenigen unter Ihnen, 
die mit ihrem Gewissen im reinen sind und die bereits den festen 
Halt besitzen, der uns für unsere Lebensführung vor allem nötig ist, 
den Boden unter den Füßen zu lockern. Das wäre ein unverantwort- 
liches Beginnen, sowohl denen gegenüber, die sich in ihrem religiösen 
Glauben so sicher fühlen, daß sie der naturwissenschaftlichen Er- 
kenntnis keinerlei Einfluß darauf gestatten, als auch gegenüber 
denen, die auf besondere religiöse Betätigung verzichten und sich 
an einer gefühlsmäßigen Ethik genügen lassen. Das dürfte aber wohl 
nur die Minderzahl sein. Denn allzu eindrucksvoll lehrt uns die Ge- 
schichte aller Zeiten und Völker, daß gerade aus dem naiven, durch 
nichts beirrbaren Glauben, wie ihn die Religion ihren im tätigen Leben 
stehenden Bekennern eingibt, die stärksten Antriebe zu den bedeuten- 
den schöpferischen Leistungen, auf dem Gebiet der Politik nicht min- 
der als auf dem der Kunst und der Wissenschaft, hervorgegangen sind. 
Dieser naive Glaube — darüber dürfen wir uns nicht täuschen — 
besteht heute nicht mehr, auch nicht in den breiten Schichten des: 
Volkes, und er läßt sich auch nicht mehr durch rückwärts gerichtete 
Betrachtungen und Maßregeln wieder lebendig machen. Denn glau- 
ben heißt fürwahrhalten, und die unablässig auf unanfechtbar siche- 
ren Pfaden fortschreitende Naturerkenntnis hat dahin geführt, daß 
es für einen naturwissenschaftlich einigermaßen Gebildeten schlech- 
terdings unmöglich ist, die vielen Berichte von außerordentlichen, 
den Naturgesetzen widersprechenden Begebenheiten, von Naturwun- 
dern, die gemeinhin als wesentliche Stützen und Bekräftigungen 
religiöser Lehren gelten, und die man früher ohne kritische Be- 
denken einfach als Tatsachen hinnahm, heute noch als auf Wirklich- 
keit beruhend anzuerkennen, 
Wer es also mit seinem Glauben wirklich ernst nimmt und es 
nicht ertragen kann, wenn dieser mit seinem Wissen in Widerspruch 
gerät, der steht vor der Gewissensfrage, ob er sich überhaupt noch 
ehrlich zu einer Religionsgemeinschaft zählen darf, welche in ihrem 
Bekenntnis den Glauben an Naturwunder einschlieft.
	        
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