Positivismus und reale Außenwelt.
(Vortrag, gehalten am 12. November 1930 im Harnack-Haus der Kaiser-
Wilhelm-Gesellschaft zur Fórderung der Wissenschaften.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine seltsame
Welt, in der wir leben. Wohin wir blicken, auf allen Gebieten der
geistigen und der materiellen Kultur, sind wir in eine Zeit schwerer
Krisen hineingeraten, die unserm gesamten privaten und óffentlichen
Leben mannigfache Zeichen der Unruhe und Unsicherheit aufpràgt.
Manche wollen darin den Beginn einer großartigen Aufwártsentwick-
lung sehen, andere wieder deuten sie als die Vorboten des unab-
wendbaren Verfalls. Wie in der Religion und in der Kunst schon seit
langem, so gibt es jetzt auch in der Wissenschaft kaum einen Grund-
satz, der nicht vor irgend jemand angezweifelt wird, kaum einen Un-
sinn, der nicht von irgend jemand geglaubt wird, und es erhebt sich
die Frage, ob denn überhaupt noch eine Wahrheit besteht, die als
allgemein unanfechtbar gelten kann und die einen festen Halt zu
bieten vermag gegen die alles umbrandenden Wogen der Skepsis.
Die Logik allein, wie sie uns in der Mathematik in ihrer reinsten
Form entgegentritt, vermag uns nicht zu helfen. Denn wenn sie selber
auch gewif als unangreifbar zu betrachten ist, so kann sie doch nicht
mehr tun als nur aneinanderknüpfen; um inhaltlich bedeutungsvoll
zu werden, bedarf sie eines festen Anhaltspunktes. Denn auch die
solideste Kette gibt keinen zuverlässigen Halt, wenn sie nicht an
einem sicheren Punkt befestigt ist.
Wo finden wir nun einen festen Grund, den wir zum Ausgangs-
punkt für unsere Natur- und Weltauftassung machen kónnen? Bei
dieser Frage fällt der Blick wohl auf die exakteste der Naturwissen-
schaften. die Phvsik. Auch diese ist freilich von der allgemeinen
Krisis nicht verschont geblieben. Auch auf ihrem Gebiet ist eine ge-
wisse Unsicherheit entstanden, die Meinungen in erkenntnistheore-
tischen Fragen gehen zum Teil erheblich auseinander. Ihre bis dahin
allgemein anerkannten Grundsätze, sogar die Kausalität selber, wer-
den stellenweise über Bord geworfen. Ja, daß so etwas gerade in
der Physik passieren kann, gilt manchem als ein Symptom für die
Unzuverlässigkeit alles menschlichen Wissens. Da mag es mir als
Physiker gestattet sein, von dem mir durch meine Wissenschaft ge-
gebenen Standpunkt aus Ihnen einige Ausführungen zu machen über
die Lage, in der sich die Physik den aufgeworfenen Fragen gegen-