Full text: Vorträge und Erinnerungen

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
     
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
     
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
Religion und Naturwissenschaft. 
(Vortrag, gehalten im Baltikum im Mai 1937.) 
Meine hochverehrten Damen und Herren! 
Wenn in früheren Zeiten ein Naturforscher die Aufgabe hatte, vor 
einem weiteren, nicht gerade aus Fachleuten bestehenden Kreise über 
ein Thema seines Arbeitsgebietes zu sprechen, so stand er, um bei 
den Zuhörern einiges Interesse zu erwecken, vor der Notwendigkeit, 
mit seinen Ausführungen zunächst möglichst an spezielle handgreif- 
liche, dem täglichen Leben entnommene Erfahrungen und Anschau- 
ungen anzuknüpfen, wie sie etwa aus der Technik oder der Mete- 
orologie oder auch der Biologie gewonnen werden, und von da aus- 
gehend die Methoden verständlich zu machen, mittels deren die 
Wissenschaft von konkreten Einzelfragen zur Erkenntnis allgemeiner 
Gesetze vorzudringen sucht. Das ist jetzt anders geworden. Die 
exakte Methodik, deren sich die Naturwissenschaft bedient, hat sich 
in jahrhundertlanger Arbeit so ausnehmend fruchtbar erwiesen, daß 
die naturwissenschaftliche Forschung heute sich auch an weniger. an- 
schauliche Probleme wie die obengenannten heranwagt, daf sie auch 
solche der Psychologie, der Erkenntnislehre, ja sogar der allgemeinen 
Weltanschauung mit Erfolg in Angriff nimmt und von ihrem Stand- 
punkt aus einer eindringenden Behandlung unterwirft. Man darf 
wohl sagen, daß es gegenwärtig keine noch so abstrakte Frage der 
menschlichen Kultur gibt, die nicht in irgendeiner Beziehung stände 
zu einem naturwissenschaftlich faßbaren Problem. 
So mag das Wagnis nicht allzu kühn erscheinen, zu dem mich Ihre 
ehrenvolle Einladung ermutigt, hier im Baltikum mit seinem zähen 
Kulturwillen als Naturforscher über einen Gegenstand zu sprechen, 
dessen Bedeutung für unsere gesamte Kultur mit dem Fortschreiten 
ihrer Entwicklung sich in stetig steigendem Maße auswirkt und ohne 
Zweifel entscheidend werden wird für die Frage nach dem Schicksal, 
das ihr dereinst bevorsteht. 
I. 
,Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" — Wenn je ein schlicht 
gesprochenes Wort in Goethes Faust auch den verwóhnten Horer 
persónlich erfaft und.in seinem eigenen Innern eine heimliche Span- 
nung erregt, so ist es diese bange Gewissensfrage des um ihr junges 
Glück besorgten unschuldigen Mádchens an den ihr als: höhere 
Autorität geltenden Geliebten. Denn es ist dieselbe Frage, die seit 
 
	        
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