106 Ferdinand von Leſſeps.
Vermittlung, zum Generalkonſul in Livorno ernannt, wo er die vier glück-
lichſten Jahre seines Lebens verbrachte. Die Familie wurde von ihm in
dem nahegelegenen Piſa untergebracht, und hier, in der Stadt des ſchiefen
Turmes im Arnotal, verbrachte Ferdinand seine ersten Kinderjahre. Das
ziemlich einfache Haus in der Via Sancasciana (damals Via Malagonella)
Nr. 1, das den stolzen Namen Palazzo Silva führt, war in jener Zeit
das Wohnhaus der Familie Leſſeps. Einer der größten Eindrücke der
frühen Kindheit waren für den Knaben die gelegentlich am Haus vorbei-
ziehenden Kamele, deren ſich die Holzhändler in Piſa zum Transport ihrer
Lasten bedienten. Das Vergnügen, das er ſchon damals an diesen Tieren
empfand, war gewissermaßen von ſymboliſcher Vorbedeutung für den künf-
tigen großen Bezwinger der Wüste. Einmal in jener Zeit war Ferdinand
nahe daran, ein Auge zu verlieren: ein Brotkrümel war ihm hineinge-
ſprungen und hatte das Auge so verletzt, daß eine ſchwere Entzündung die
Folge war, von der drei Monate lang die Sehkraft des Organs aufs ernſteſte
gefährdet war.
Der Aufenthalt in Piſa dauerte auch noch fort, als der Vater, der Ende
1809 zum Kaiserlichen Kommissar auf den Joniſchen Inseln ernannt worden
war, 1810 von Livorno nach Korfu überſiedelte. Erst im Juli 1814, nachdem
Napoleon gestürzt worden war, ſchlug die Stunde der Heimkehr ins Vater-
land, in das Mathieu de Leſseps zurückberufen wurde. Eines Wagenunfalls
wegen mußte damals die Familie im Hochgebirge der Schweiz einen Tag
lang raſten, und dieser unfreiwillige Aufenthalt angesichts der Schneedome
der Alpen machte auf den achtjährigen Ferdinand, wie er ſpäter erzählte,
einen unvergeßlichen Eindruck. Am 10. Auguſt 1814 war die Familie, der
im Februar 1809 übrigens noch ein weiterer Zuwachs in Gestalt eines dritten
Sohnes beſchert worden war, wieder in Paris mit dem Vater vereinigt. Da
auch der Oheim Barthélemy de Leſſeps mit ſeinen Kindern um diese Zeit
ebendort weilte, war eine starke Familie beiſammen, und der kleine Ferdi-
nand fand an seinen Geſchwiſtern, Vettern und Basen eine willkommene
Menge von Spielgefährten. Er ſcheint ein recht wilder Junge gewesen
zu sein, wenigstens muß man dies daraus ſchließen, daß er einige recht böſe
Unfälle erlitt und zweimal dabei in ernsteſte Lebensgefahr geriet. So
kletterte er eines Tages auf einem im zweiten Stockwerk eines Hauſes be-
findlichen Heuboden herum; als er nun dort gerade rittlings auf einem
großen Heuhaufen saß, rutſchte dieſer ab und fiel mit dem Knaben durchs
offene Fenster hinab auf den Hof. War bei diesem unangenehmen Abenteuer
Ferdinand sonderbarerweise noch mit heiler Haut davongekommen, ſo passierte