Ferdinand von Leſſeps. 119
dann seinem alten Freunde und Gönner Ruyssenaers, dem holländischen
Generalkonſul in Alexandria, überſandte, mit der Bitte, ſie dem damaligen
Vizekönig von Ägypten, einem Enkel des großen Mehemed Ali, Abbas
Pascha, zu übermitteln, der seit 1848 Khedive von Ägypten war. Der
Wunſch wurde auch erfüllt, aber Abbas Pascha, ein beschränkter, aller
europäiſchen Kultur feindlich geſinnter Menſch, hatte nicht das geringste
Verständnis für die Großartigkeit des Gedankens, und Ruysſenaers mußte
zurückmelden, daß seine Bemühungen einstweilen aussichtslos seien. Da
starb Abbas Paſcha am 13. Juli 1854, und sein Nachfolger wurde sein erst
zweiunddreißigjähriger Oheim Mohammed Said Paſcha, der ſpätgeborene
Sohn des greiſen Mehemed Ali. Said Paſcha aber war in aufrichtiger
Freundſchaft und Dankbarkeit Leſſeps ergeben, der ihm als Knaben die Augen
für den Wert der Ziviliſation erſchloſſen und ihm auch ſonsſt manchen wert-
vollen Dienst erwieſen hatte. Als Leſſeps ihn zur Thronbesteigung ſchriftlich
beglückwünſchte, lud er ihn alsbald ein, nach Alexandria zu kommen. Lesſeps
war sofort bereit und war auch sogleich fest entſchloſſen, das Suezkanal-
Projekt nunmehr mit aller Energie aufzunehmen. Er teilte ſeinem Freunde
Ruyssenaers am 15. September brieflich mit, daß er ihn bald in Ägypten
wiederſehen werde, und fügte hinzu: „Kein Wort zu irgend jemand, wer es
auch sei, über das Projekt der Isthmusdurchstechung, bevor ich dort bin."
Am 7. November 1854 betrat Leſſeps nach 18jähriger Abwesenheit wieder
den Boden Alexandrias, am folgenden Tage wurde er bereits vom Khediven
mit größter Herzlichkeit empfangen, und wenige Tage später, am 15. No-
vember, während einer gemeinſamen Karawanenreiſe nach Kairo, trug er
ihm seine Pläne in betreff der Landenge von Suez vor, auf die Said Paſcha
schon vorbereitet war, und Leſſeps fand bei ihm zu seiner größten Freude
volles Verständnis, ja, Billigung seiner Pläne und empfing die Zuſage
kräftiger Unterstützung.
Es muß hervorgehoben werden, daß Leſſeps nicht der Einzige war,
der ſich in jenen Jahren mit dem gigantiſchen Plan der Isthmusdurch-
stechung trug. Nachdem man 1841 festgestellt hatte, daß die Niveaudifferenz
zwischen dem Roten und dem Mittelländiſchen Meer bei weitem nicht so groß
sei, wie Lepère berechnet hatte, wurde die techniſche Durchführbarkeit der
ſchon von Napoleon I. gewünſchten Kanalanlage auch anderweitig erkannt.
Insbesondere war es ein Österreicher, Negrelli, der im Auftrage einer 1846
von Österreichern, Engländern und Franzoſen gegründeten internationalen
Studiengesellſchaft, schon 1847 und dann wieder seit 1855 das in Betracht
kommende Gelände eingehend auf seine Brauchbarkeit für die Anlage eines