1.38 Ferdinand von Lesſeps.
geweſen, wenn der Prozeß gegen Leſſeps und seine Verurteilung unter-
blieben wäre, denn außerordentliche Verdienste durften auch außerordent-
liche Rücksicht verlangen, und selten war es so klar wie in dieſem Fall, daß
der Angeklagte nicht durch eigene, sondern durch fremde Schuld gestrauchelt
war, der Mann, den nicht Geldgier und Ehrgeiz auf seinen gefährlichen
Poſten geführt hatten, sondern der auf ihn durch das allgemeine Vertrauen
der Kulturmenſchheit berufen worden war, und der ſich dem Rufe nicht
entziehen wollte, zur größeren Ehre der franzöſiſchen Nation!
Leſſeps hat seine Strafe nicht abgebüßt; das Schauſpiel blieb wenig-
ſtens der Welt erspart, daß der 87jährige Greis, dem man vor kurzem noch
allenthalben auf Erden begeistert zugejubelt hatte, hinter Gefängnismauern
schmachten mußte! Der Kassationshof hob am 15. Juni 1893 das Urteil
vom 9. Februar auf, aber nicht aus Reſpekt vor der Größe des Mannes,
sondern aus rein formaliſtiſchen Gründen: weil das Vergehen verjährt
war! – ~
Die erſchütternde Tragik dieſes Ausgangs einer ſo glänzenden Lauf-
bahn kann nicht beſser gekennzeichnet werden als dadurch, daß ein Ferdinand
de Leſſeps ſich, wie Äußerungen von ihm aus dieser Zeit erkennen ließen,
als Sö5jähriger Greis zeitweiſe mit Selbſtmordgedanken trug. Die unge-
heuren ſeeliſchen Erschütterungen, die unausgesſetzt auf ihn einſtürmten,
nachdem er im Dezember 1888 mit der Anordnung der Einſtellung der
Kanalarbeiten den ſchwerſten Schritt ſeines Lebens getan hatte, brachen
die geiſtige und körperliche Kraft des Greiſes, dem die hingebende Liebe
seiner Gattin und seiner Kinder keinen vollwertigen Ersatz in ſolchem Unglück
bieten konnte. Nach jenem unseligen Dezember alterte er, nach dem Zeugnis
eines Bekannten, in drei Monaten um zehn Jahre. 1890, nach einer langen
Unterredung mit dem Unterſuchungsrichter, brach er nieder und lag vier
Wochen, ohne ein Wort zu sprechen, im Bett. Und als die noch ſchwereren
Stürme der Jahre 1892 und 1893 über ihn und sein Haus dahinbrauſten +
denn auch sein Sohn Charles war in den Prozeß verwickelt und mußte
wegen Bestechung ein Jahr Gefängnis abbüßen , da umnachtete ſich ſein
Geist, und der Tod, der ihn am 7. Dezember 1894 in La Chénaie ereilte,
war für ihn eine Erlöſung von ſeeliſcher und körperlicher Qual. Wenige
Tage vor seinem Hingange hatte er, faſt gleichzeitig, ſeimen 89. Geburts-
tag, die ſilberne Hochzeit seiner zweiten Ehe und den 25ten Jahrestag seines
ſtolzeſten Triumphes, der Eröffnung des Suezkanals, feiern können, soweit
unter solchen äußeren Umständen von einem ,„Feiern" die Rede ſein
konnte.