Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

  
getragen von einem Volk und seinem geschichtlichen Willen, sondern in Auftrag 
gegeben von einer verwöhnten Herrenschicht östlicher Herkunft und ausgeführt von 
Handwerkern der verschiedenen italischen Stämme, gelegentlich wohl auch von 
einem nach Italien verschlagenen und dort künstlerisch entwurzelten Griechen. Aber 
unwillkürlich und zwangsläufig verwandelt und verändert sie das Vorbild. Die 
Fehler, welche bei der Nachahmung entstehen, sind typische Fehler, und aus ihrer 
regelmäßigen Wiederkehr entsteht dann das Eigene, das man etruskischen Stil nennt. 
Der Tonbildner, der das Köpfchen vom Kapitol geschaffen hat, besaß ungewöhnlich 
viel Sinn für sein Vorbild und dazu die Fähigkeit, das Vorbild recht getreu nach- 
zuahmen. Deshalb ist das kleine dekorative Werk so schlicht und rein geworden. 
Selbständiger und unabhängiger arbeitete jener Künstler, der die Vejenter 
Gruppe von Apoll (Abb. 4—5) und Herakles geschaffen hat. Wie die Sage, so wird 
auch das Bildwerk auf griechische Erfindung zurückgehen. Die gespannte Kraft des 
Körpers, die Faltenmotive des Gewandes, der heiter-belebte Gesichtsausdruck er: 
innern an Griechisches. Etruskisch ist jedoch das Unbàndige der Mafhe und Ver: 
hàltnisse. Ebenso wie bei der kapitolinischen Wolfin ist auch beim Apoll der Kopf 
zu klein, der Hals zu dick. Etruskisch ist die Schwerflüssigkeit, das Derbe und Stoff 
liche von Haar und Gewand. Während die griechische Kunst alles in reine entstoff- 
lichte Form und allgemeingültige Gesetzlichkeit überträgt, wird hier das Einmalige 
der Erscheinung in ihrer Zufälligkeit gegeben. Ein solch plumper Körper ist nicht 
das typische Bild eines Körpers, es ist ein Sonderfall. Der Körper ist maßlos und 
übertrieben in seinen Verhältnissen, gefüllt und beleibt, schwer und rund. Mit der 
herben Schönheit und erfrischenden Klarheit griechischer Apollofiguren hat dieses 
Werk nichts mehr gemein. Völlig gesprengt ist das edle Gesicht (Abb. 5), zerrissen 
der Zusammenhang der Formen, verselbständigt jeder Teil. Hier ist nicht Körper 
und Gesicht eingeordnet in ein Ganzes, das still in sich ruht und aus sich lebt. Hier 
drängt vielmehr alles auf Ausdruck hin, drängt den Beschauer an und sucht ihn zu 
überwältigen. Erstaunlich unbefangen und derb ist die Sprache der Formen, drastisch 
und grotesk ist ihr Vortrag. Hier haben sich die „Fehler“ in der Nachahmung bereits 
zu einem eigenen Stil zusammengefügt. Er hat dieselben Eigenschaften und Merk- 
male, welche schon an der kapitolinischen Wölfin hervortraten. Das fehlende Gefühl 
für die Verhältnisse und den Bau des Körpers wird ersetzt durch die Kraft des Aus- 
drücks, der sich im Gesicht sammelt und der sich in der eigentümlichen leiblichen 
Beschaffenheit ausspricht. 
Es ist bezeichnend für die etruskische Kunst, daf3 sie nie den leuchtenden und 
klaren Marmor aufsucht, sondern den weichen Tuffz oder Kalkstein vorzieht, daß 
sie dagegen besonders grofhe und kühne Werke geschaffen hat in Bronzehohlgufs und 
Terrakotta. Beide technische Verfahren und beide Materialien machen die plastische 
Form unabhängig von der Schwere eines steinernen Blockes, machen sie beweglich 
und ausdrucksfähig, und geben dem Werk den Charakter des einmal Geschaffenen, 
während die griechischen Marmorwerke, aber auch die griechischen Werke in Bronze 
und Ton das Natürlich-Gewachsene und Immerwährende des Steines besitzen. 
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