Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
dung römischer Herrscher war. Während sich schon die germanischen Völker zum 
Aufbruch rüsten und mit den ersten. dróhnenden Schlägen an die Pforten des 
Reiches schlagen, zeigt hier die Kunst noch ein letztes Mal die Einheit des grie- 
chischen Geistes und der römischen Tatkraft, verkörpert die Kunst die Idee der 
‚antiken‘ Kultur. Es triumphiert in römischem Gewande der griechische Geist, und 
es mag mehr als ein geschichtlicher Zufall sein, daß es derselbe Michelangelo ge 
wesen ist, der seine kapitolinischen Stufen zum Standbild dieses Herrschers und 
seine laurentianischen Treppen in Florenz zu den aus Byzanz vor dem Türkensturm 
geretteten Schriften griechischer Denker und Dichter emporführte. In einer künst- 
lerischen Tat von wahrhaft weltgeschichtlicher Tragweite knüpft er dort wieder an, 
wo die lebendige, geistig-politische Einheit der antiken Welt zerbrach. 
Welch geschichtliche Wende sich unter Marcus Aurelius vorbereitete, wird sicht: 
bar, wenn man ihm die Bildnisbüste seines Sohnes Commodus (180—192) im Konser- 
vatorenzPalast (Abb. 177) gegenüberstellt. Plótzlich ist die Menschlichkeit griechischen 
Weltverstehens aus dem Bild des rómischen Weltherrschers verschwunden. Com: 
modus sucht seine Würde mit den Requisiten griechischer Mythologie zu bestreiten, 
und er macht sich selbst, sein antoninisches Philosophengesicht, zum Träger eines 
gespenstischen und spukhaften Spiels politischer Allegorien. Wir kennen die Sprache 
der allegorischen Bilder und Zeichen aus den Anfängen des Reiches. Damals waren 
sie lebendig erschaut, jetzt sind sie emblematisch erstarrt: Victorien halten kniend 
überfließende Füllhörner über den Erdball und zwischen ihnen tragt die mythische 
Pelta, verziert mit Medusenhaupt und Adlerköpfen, das Bildnis des Herrschers, 
nicht in der üblichen Form des Bruststücks ohne Arme, sondern als Oberteil eines 
Standbildes. Denn auf die Arme und Hände kann nicht verzichtet werden. Sie 
tragen ja die Abzeichen des Herakles, als welcher Commodus hier erscheint. Wie 
in der vorklassischen Kunst der Griechen ist der Rachen des nemeischen Löwen 
auf das Haupt gestülpt, kreuzen sich die Vorderpranken auf der nackten Brust. Die 
rechte Hand aber schultert die Keule, während uns die linke triumphierend und 
vielsagend die goldenen Äpfel der Hesperiden als Trophäen eines jenseitigen Reiches 
hinhält. 
In dem Jupiter-Standbild des Claudius (Abb. 102) war schon der Gegensatz zu 
spüren zwischen der angemaßten Rolle eines Gottes und der sie tragenden Wirk- 
lichkeit eines Menschen. Im Bildnis des Commodus wird dieser Gegensatz grotesk 
und unerträglich gesteigert. Schon allein die Tatsache, daß es nicht mehr die volle 
Gestalt des vergöttlichten Menschen ist, welche beim Kaiser Claudius noch Erinne: 
rungen an griechische Gotterbilder wecken konnte, macht dies Werk so erschreckend 
leer, offenbart es als kiinstliches Spiel des Gedankens, als Wunschtraum eines Bez 
sessenen. Man hat nicht ganz mit Unrecht angesichts dieses Commodus so be: 
leidigende Worte gefunden wie .Personifizierte Vogelscheuche, die Eitelkeit in 
Person, drapiert aus dem Pompôsesten an Maskenbestand des Mythos und Logos 
von einst, ein übertünchtes Grab*^ (H. Zimmer, Indische Sphàáren 97). Wir verfallen 
keiner Willkür moderner Auslegung, wenn wir solche Urteile anführen. Denn schon 
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