245. Christlicher Sarkophag. Lateran
Selbst die Sphäre des Staates kann nicht mehr als profan bezeichnet werden.
Sie ist es überhaupt nur dort, wo man im Staat einen ‚Gesellschaftsvertrag‘ sieht;
sie war es am wenigsten bei den Römern. Jetzt aber, im christlich gewordenen |
Staatsgefüge, ist die Hierarchie der Ämter und ihrer Inhaber noch stärker geworden. !
Jetzt symbolisiert sich im Staat die göttliche Hierarchie der Welt. Auf Werken der a
Kleinkunst, auf Elfenbeintáfelchen und Silbergeráten, erscheinen die Würdentráger
in jener schwebenden, abstrakten Art, auf die hin die Formtendenz seit Jahrhunder-
ten gerichtet war und die eine Vorahnung mittelalterlicher Darstellungsweise ist.
Aut Ehrensäulen und Obeliskensockeln in Byzanz wird das Kaiserhaus in der welt:
fernen triumphierenden Majestät dargestellt, wie sie spáter nur noch Gottvater und
der Dreieinigkeit zukommt. Zunàáchst ist die Erscheinungsweise, der Stil dieser
frühchristlichen Kunst der in Rom seit Jahrhunderten geübte und ausgebildete,
immer mehr verdünnte Klassizismus. Er wird gesteigert in eine letzte Idealität, um
dem idealistischen Programm der neuen Glaubenslehre allegorischen Ausdruck zu
geben. Die Volkskunst, die unter Konstantin so starken Einfluß auf die allgemeine
Kunstübung gehabt hatte, hat keinen Anteil mehr an der Stilbildung. Zuletzt weicht
die plastische Gegenständlichkeit der menschlichen Erscheinung der flàchigen Bild:
erscheinung, in der der Mensch ‚figürlich‘, fast ornamental einer höheren Ordnung
zu dienen hat.
Die Wendung von der volkstümlichen Art zum Klassizismus erfolgt bereits in
spátkonstantinischer Zeit. Der Brüder-Sarkophag im Lateran (Abb. 245) — so ge- |
nannt nach den Bildnisbiisten zweier Manner, welche in einer Muschelschale die
Mitte der Vorderwand einnehmen —, enthält auf zwei übereinanderliegenden Fries-
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