Full text: Die Kunst der Römer (1,2)

trachtungen stellen, der derselben Zeit wie der Caesar Torlonia angehórt und der 
keine namhafte und führende Persónlichkeit wiedergibt. Dieser sehr merkwürdige 
Kopf befindet sich in der Glyptothek zu München (Abb. 51). Er wirkt stumpf und 
dumpf neben den bewegten und bewegenden Gesichtern der Großen. Kantig und 
nicht durchgebildet ist dieser Schädel. Eine rein physische Kraft, ein unerweckter 
Wille spricht aus den Zügen. Aber ein prächtiger Rohstoff ist er für den Neubau 
eines Bauernstaates. Mürrisch, weil er seinen Einsatz nicht kennt; untätig, weil ihn 
noch niemand aufgerufen hat; stumm, weil ihn niemand angesprochen hat. Aber 
klug und finster entschlossen. Hart stoßen die einzelnen Gesichtsteile zusammen. 
Fast rechtwinklig biegt die Stirn zu den Schläfen um. Große Flächen sind die 
Wangen. Abgeplattet ist das Kinn. Brauen und Mund verlaufen ganz gerade. Jede 
Form ist isoliert. Dieses Gesicht ist nicht von griechischer Bildung erleuchtet und 
seine Formen sind auch nicht vom organischen Leben griechischer Kunst erfüllt. 
Der Kopf erinnert in seinem stereometrischen Bau an den sogenannten Brutus 
(Abb. 21), jenes etruskische Bronzewerk des dritten Jahrhunderts v. Chr., an dem die 
italische Struktur so deutlich abzulesen war. Als ob es keinen Hellenismus in Italien 
gegeben hätte, so unvermittelt setzt der Münchener Kopf die Linie der etruskischen 
Bronze fort. Nur ist hier eine noch größere Nüchternheit, nur ist hier das Kubische 
und Abstrakte der Schädelform noch gegenständlicher gegeben; man möchte fast 
sagen, die absolute Form ist naturalistisch zur Darstellung gebracht. 
In diesen Jahren um 40 v. Chr. muß eine Strömung des Stils ganz stark auf die 
Absolutheit der Form ausgerichtet gewesen sein. Denn wir finden diese Absicht in 
dem herrlichen Bildnis der edlen Octavia auf einer Goldprägung ihres ungetreuen 
Gatten Marcus Antonius in Berlin verwirklicht (Abb. 52). Reine Linie, klare Flächen, 
Gleichmaß und Wohlklang, Hoheit und Schönheit vereinigen sich. Frauenbildnisse 
hat man in der römischen Kunst niemals so realistisch gegeben wie Bildnisse der 
Männer; das haben wir an dem Grabrelief von Via Statilia (Abb. 46) gesehen. Aber 
hier ist es nicht einfach und ausschließlich Idealisierung; Octavia war wirklich ein 
Wunder an Schönheit, das rühmt Plutarch mit beredten Worten. Es ist eine ganz 
neue Bestimmtheit der plastischen Bildung und die Verwirklichung absoluter Form: 
gesetze, welche an dem Bildnis der Octavia zu sehen sind. In dem Münchener 
Bauernschädel ist das Absolute und Abstrakte der plastischen Form, wie wir 
sagten, gleichsam naturalistisch zur Anschauung gebracht. Bei dem Porträt der 
Octavia dagegen wird das Absolute und Abstrakte der plastischen Form klassi- 
zistisch vorgetragen. Dort ist es die Statik stereometrischer Flächen, hier ist es die 
harmonisch gestimmte Dynamik ausdrucksvoller Linien. Immer wieder treffen wir 
auf diese beiden Kräfte, welche der Struktur der italisch- römischen Kunst zugrunde 
liegen und welche sich in ihren verschiedenen Wandlungen mannigfaltig mischen, 
verstecken, plötzlich wieder rein darstellen, und welche ebenso aus hellenistischen 
Strömungen wie aus klassizistischen Neigungen hervorbrachen. 
Zwei Köpfe, beide etwa ein Jahrzehnt später als die Octavia um 30 v. Chr. zu 
datieren, zeigen die Spannungsweite der spätrepublikanischen Kunst: Der Opfernde 
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