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55. Togastatue cines Unbekannten. Neapel
besitzt dieselbe Knappheit und Prägnanz,
dieselbe Härte und Schärfe der Form, nur
ist er rein römisch, während sich der
Augustus griechisch gibt. Man kann schon
hier von einem Gegensatz zwischen Ho£
kunst und Volkskunst sprechen, aber
man muß erkennen, daß die stilistischen
Grundformen, daß die strukturelle Grund:
lage beider Richtungen gleich ist.
Wir haben bereits das verklärte Bild
Caesars aus der AugustuszZeit gesehen.
Es gehórt der ,hófischen' Richtung an
und dient in seiner Vorbildlichkeit und
Gültigkeit der Reichsidee. Diese Riche
tung wird die maf’gebende in der Reichs:
kunst der romischen Kaiserzeit. Daneben
lebt jedoch die Kunst des romischen
Volkes und daneben erwacht eine Volks:
kunst in den römischen Provinzen. Diese
Entwicklungen und Spannungen bilden
eine neue Epoche und gehören in ein an:
deres Kapitel.
Zum Abschluß der spätrepublika-
nischen Porträtkunst des 1. Jahrhunderts
v. Chr. muß als ein Beispiel von vielen
eine Toga-Statue in Neapel (Abb. 55—56)
genannt werden, welche bereits in der
hohen Augustus-Zeit geschaffen ist. Am
Ende des Jahrhunderts stehend, zeigt sie
trotz, vielleicht auch gerade wegen ihrer
provinziellen Herkunft das Ziel aller Stro-
mungen, die restlose Klärung der Form.
Sie zeigt Linearität und Abstraktion der
Bildung, dabei Volkstümlichkeit in Ge-
stalt und Gestaltung. Sie zeigt, daf3 hier
ein allzu schnelles Ende für die konse
quente Verwirklichung italischer Struktur
gesetze erreicht ist, und sie erweist damit
die kunstgeschichtliche Notwendigkeit des
augustischen Klassizismus. Sie läßt aber
auch ahnen, daß über das Ende hinaus
eine abendländische Kunst möglich sein