Full text: Die organischen Nahrungstoffe und ihr Verhalten im Zellstoffwechsel (1. Teil)

  
  
  
  
  
Vorlesung IX. 
Kohlehydrate. 
VIII 
Diabetes melitus. 
Die auf verschiedene Arten experimentell erzeugte Hyperglu- 
koplasmie mit nachfolgender Glukosurie hat nicht nur deshalb das 
größte Interesse geweckt, weil die Aussicht bestand, ein lückenloses Bild 
des Ablaufs des Kohlehydratstoffwechsels zu erhalten, sondern vor allem 
auch, weil wir eine Krankheit kennen, bei der eine Stórung des genannten 
Stoffwechsels vorliegt. Es ist dies der Diabetes melitus, die Zucker- 
harnruhr. Bei dieser erscheint Traubenzucker im Harn.!) Ferner findet 
sich. wohl regelmáfig eine Hyperglukoplasmie. Schon im Mittelalter war 
den indischen und arabischen Ärzten bekannt, daß bei der erwähnten 
Krankheit ein süß schmeckender Stoff im Harn erscheint. Es gelang jedoch 
erst Chevreul?) im Jahre 1815, den Harnzucker in Kristallform zu ge- 
winnen. JBouchardat?*) und  Péligot*) haben ihn dann einwandfrei als 
Traubenzucker erkannt.) 
Würden wir genau wissen, auf welche Art und Weise der tierische 
Organismus seinen Kohlehydratstoffwechsel regelt, würden wir alle Organe 
kennen, die ihn beherrschen und würde uns bekannt sein, wie jedes ein- 
zelne Organ wirkt, an welcher Stelle des gesamten Zuckerstoffwechsels 
die einzelnen Gewebe eingreifen, dann würden wir ohne Zweifel imstande 
sein, den Diabetes melitus therapeutisch wirksam anzugreifen, indem wir 
die Ursache oder, vielleicht besser ausgedrückt, die voneinander abhàn- 
eigen Ursachen beseitigen kónnten. Ja, es wáre denkbar, daf) eine wirk- 
same Prophylaxe eingeleitet werden könnte. Wartet aus diesen Gründen 
der Pathologe mit größter Ungeduld auf weitere Fortschritte auf dem 
Gebiete der experimentellen Erforschung des Kohlehydratstoffwechsels, so 
ist andererseits dem Physiologen ein von der Natur angestelltes Experi- 
!) Vgl. hierzu Eduard von Lippmann: Zur Geschichte des diabetischen Zuckers. 
Chemiker-Ztg. 44. 1 (1920). 
?) Chevreul: Bull. de la Société philomatique. 148 (1815); Annales de Chimie. 
45 (1815). 
3) Bouchardat: Compt. rend. de l’Acad. des Sciences. 6. 337 (1838). 
*) Péligot: Ebenda. 7. 106 (1838). 
5) Vgl. weitere historische Daten bei R. Lépine : Le diabète sucré. Félix Alcan, 
Paris 1909.
	        
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