Vorlesung XXII.
Eiweibstoffe und ihre Bausteine.
6.
Der Eiweifistoffwechsel der Pflanze. Die Beziehungen der Aminosáuren
zu den Betainen und Alkaloiden. Abbau der Aminosäuren in den höheren
Pflanzen, ferner durch Bakterien und Hefezellen.
Wir haben festgestellt, daß die Chlorophyll enthaltende Pflanze aus
der Kohlensäure der Luft, aus Wasser, Salpetersäure bzw. Ammoniak und
Schwefelsäure Eiweiß aufbauen kann. Es spricht alles dafür, daß zu-
nächst die einzelnen Aminosäuren gebildet werden, und diese dann unter
Wasseraustritt zu Eiweiß zusammentreten. Diese Synthese von Amino-
säuren bzw. Eiweiß aus den Elementen ist auf die Pflanzenwelt beschränkt.
Der tierische Organismus vermag mit den Elementen als solehen nichts
anzufangen. Seine synthetischen Fähigkeiten sind nieht so umfassend. Es
müssen ihm organische Verbindungen zur Verfügung stehen. Diese können
allerdings ganz einfacher Natur sein. Der tierische Organismus ist
somit ganz auf das Pflanzenreich angewiesen. Die Pflanze allein
vermag Sonnenenergie direkt zu verwenden. Der tierische Organismus
übernimmt solche in den organischen Nahrungsstoffen. Gleichzeitig erhält
er zusammengesetzte Verbindungen mit bestimmter Struktur, die er weit
abbauen und dann seinen eigenen Bauplänen anpassen kann. Das Tier ist
mit allen seinen Kinrichtungen, seinen Fermenten usw. auf die Art der
Nahrung eingerichtet. Die erste Aufgabe, die zu erfüllen ist, ist in der
ganzen Tierreihe in mehr oder weniger ausgedehnter Weise der Abbau
der eine besondere Struktur aufweisenden, zusammengesetzten Verbindungen.
Überall treffen wir auf Fermente, die Hydrolysen bewirken können. Die
Zellen des tierischen Organismus enthalten die gleichen Be-
standteile, wie diejenigen der Pflanzen. Ob wir nun Eiweißstoffe
aus einer Pflanzenzelle oder solche aus einer Tierzelle zerlegen, immer
treffen wir auf die gleichen Aminosäuren. Die Nukleinsäuren der Kerne
der verschiedenartigsten Zellen liefern die gleichen Spaltprodukte. Überall
finden wir Fettsáuren und Glyzerin als Bausteine der Fette. Einzig die
Kohlehydrate zeigen im Pflanzenreich eine grófere Mannigfaltigkeit als
im Tierreich. Umgekehrt verfügt das Tier oftenbar über Eiweifstoffe, die
der Pflanze fehlen. Diese besonderen Proteine spielen jedoch zum grófiten
Teil eine mechanische Rolle und gehóren den Zellen als solchen nieht un-