484 XXIII. Vorlesung.
gefüllten Magens mit dem des Darmkanals, dann wird sofort klar, daß
fortwährend Resorption stattfinden muß, denn sonst müßte man bei voll-
ständig entleertem Magen — beim Hunde etwa 6—8 Stunden nach der
Mahlzeit — viel mehr Chymus im Dünndarm finden als dann, wenn der
Magen nur einen Teil seines Inhaltes abgegeben hat. Es ist dies jedoch
nicht der Fall. Der Dünndarm zeigt wührend der Verdauung einer Mahl-
zeit annühernd die gleiche Füllung, wenn diese einige Zeit im Gange war.
Die Verdauung verlüuft wahrseheinlieh in den folgenden Phasen. Es
verläßt jeweilen eine geringe Menge des durch den Magensaft vorverdauten
Chymus den Magen. Dieser kommt sofort mit den Sekreten des Darmes
in Berührung. Die Wirkung des Pepsins wird bald ausgeschaltet, sofern
es nicht durch noch nicht gelóstes Protein geschützt ist. Länger wirkt
das Labferment.!) Schließlich werden auch ihm die Bedingungen seiner
Wirksamkeit entzogen. Es setzt nun die Trypsin- und die Erepsinwirkung
ein. Bald erfolgt die Abspaltung von Aminosäuren. Gleichzeitig setzt die
Resorption ein und entfernt die sich bildenden Spaltprodukte. Im Reagenz-
glasversuch fallen alle Regulationen weg. Wir geben Pankreassaft zu
einem Kiweißkörper oder zu einem Peptongemisch und vollenden dann
den Abbau durch Zugabe von Darmsaft. Wir schaffen im vorneherein
ganz unnatürliche Verhältnisse, weil wir das Zusammenspiel von Trypsin
und Erepsin in quantitativer Hinsicht gar nicht berücksichtigen. Ferner
lassen wir die Abbauprodukte liegen. Endlich bleibt die während der
Verdauung sich ausbildende Reaktion auch dann, wenn wir sie regulieren,
ohne die nötige Anpassung an die vielleicht von Fall zu Fall verschiedenen
Anforderungen an eine optimale Reaktion für bestimmte Fermentwirkungen.
Im Darmkanal wird diese ohne Zweifel stets in bestimmter Weise eingestellt
und so verschoben, daß die Fermentwirkung sich voll entfalten kann. Es
ergibt sich aus diesen großen Unterschieden in den Bedingungen, unter
denen der Abbau der Proteine und Peptone im Darmkanal und Reagenz-
glas sich vollzieht, daß wir die Zeit, die vergeht, bis im letzteren Falle
Eiweiß bis zu Aminosäuren zerlegt ist, nicht auf die Verdauung unter
natürlichen Verhältnissen übertragen dürfen. Für eine solche Auffassung
sprechen auch die oben erwähnten Versuche, in denen gezeigt werden
konnte, daß die Peptone des Darminhaltes auch außerhalb des Darmes
bald fast vollständig bis zu Aminosäuren abgebaut werden. Es spielt das
Mischungsverhältnis zwischen Chymus, Darm- und Pankreassaft und Galle
sicher eine große Rolle beim raschen Abbau der einzelnen zusammen-
gesetzten Nahrungsstoffe. Wir können diese Bedingungen deshalb nicht
nachahmen, weil wir sie noch nicht kennen. Wir kommen somit zum
Schlusse, daß die Möglichkeit gegeben ist, daß im Darmkanal
die Eiweißkörper und Peptone bis zu Aminosäuren abgebaut
werden und im Wesentlichen Eiweißbausteine zur Resorption
gelangen.
!) Vgl. S. 474.