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zwischen kräftigen Steinrippen bilden den Kern der Konstruktion. Die aus-
füllenden und nur mehr Raum abschliessenden Kappen dazwischen konnten dafür
verhültnismássig dünn ausgeführt werden. Starke Strebepfeiler in den Ecken
zwischen den Kapellen und schwächere für die Mittelrippen der Gewölbe wirken
dem. Drucke der sieben fünfteiligen Kreuzgewölbe des Kapellenkranzes entgegen
(Fig. 260); Strebebögen, an diese Pfeiler sich lehnend, nehmen den Druck der
oberen Teile des Chorbaues auf, Und wie Suger den Spitzbogen nun einmal als
konstruktiv massgebend erkannt hatte, so gestaltete er weiter mit feinem Ge-
schmacke das Ganze dadurch auch dekorativ harmonisch aus, dass er alle Bogen-
formen über Türen sowohl als auch über Fenstern und Wandnischen der gleichen
Art anpasste. Damit war der Spitzbogen ein für allemal die für den gotischen
Stil übliche Bogenform geworden
C. Die Verbreitung des gotischen Stiles durch die Bauhütten.
Mit der Abteikirche zu St. Denis hatte das Innere der gotischen Kirche
eine massgebende Umgestaltung erfahren, die nun von hier aus sich zunächst in
Frankreich weiter verbreitete. Langsam folgte auch in der Aussenarchitektur,
die schon jetzt durch das System der Strebepfeiler beherrscht wurde, eine ent-
sprechende allgemeine Formenumwandlung nach, so dass etwa bis zum Jahre
1200 in ganz Nordfrankreich und Burgund diese neue Bauweise festen Boden
gewonnen hatte. Von hier aus kam dann die Gotik als sogen. ,opus francigenum“
nach Deutschland. — Dass aber diese neue Kunst der Steinmetzen, wie man sie
wohl nicht mit Unrecht bezeichnen kann, so schnell festen Fuss fasste und im
Laufe weniger Jahrzehnte die romanische Bauweise, allerdings zunächst nur aus
dem Innern der Kirche, gänzlich verdrängte, ist zumeist den sogen. Bauhütten
zuzuschreiben, die sich die Pflege dieser nun von Laien übernommenen Kirchen-
baukunst ganz besonders angedeihen liesen. / In der romanischen Zeit hatte das
Kloster auch bereits Brüderschaften zur Pflege des Bauwesens ausgebildet; die-
selben waren aber immer im Zusammenhange mit ihrem Kloster geblieben. Der
Bau der romanischen Basilika erforderte nur mehr oder weniger geübte Maurer,
während die Kunst der Steinmetzen verhältnismässig spärlich zur Geltung kam.
Anders ist dies nun. Jetzt, wo der ganze Kirchenbau in ein festes System der
zweckmässigen Konstruktion gezwängt ist, musste ein tüchtiger Meister, der das
Ganze beherrschte, an der Spitze des Baues walten, und seine Gehülfen mussten
gut ausgebildete Steinmetzen sein, die die Kunst des Steinschnittes gründlich
beherrschten. Die höchsten Leistungen im Steinbau treten hier an gewaltigen
Kathedralen, für die allerdings die Kirche zum grossen Teile die Bausummen
herbeischaffte, zutage, da war die Arbeit von Laien oder von Mönchen ganz
ausgeschlossen. Nur der allertüchtigste Fachmann konnte hier genügen. So
schlossen sich denn diese Steinmetzen zu gemeinsamem Wirken und zur Erhal-
tung und Pflege von „Steinmetzgebrauch und Gewohnheit“ zu einem allgemeinem
Bunde zusammen, umsomehr, als sie durch den öfteren Ortswechsel geradezu
hierauf angewiesen waren. Es entstand damit eine Innung im grossen Stile, die
insonderheit den Kirchenbau zu pflegen hatte, während in den Städten die Bau-
zünfte sich dem Privatbau zuwandten.
Jeder in die Bauhütte Eintretende verpflichtete sich zur Geheimhaltung der besonderen
technischen Kenntnisse denen gegenüber, die nicht das Steinmetzhandwerk regelrecht: erlernt