Vierter Abschnitt.
Die monumentale Baukunst der neueren
Zeit.
I. Die Renaissance in Italien.
A. Allgemeine baukiünstlerische Entwickelung.
Anders, als in den Ländern diesseits der Alpen, gestaltete sich die Ent-
wickelung des gesamten Kulturlebens und als Ausfluss desselben die Kunst in
der Architektur in Italien.
Es war der Italiener gutes hecht, die von der rómischen Antike hinter-
lassenen Bauformen als ihr natürliches Erbteil zu betrachten. Hatte doch diesem
Gedanken im frühesten Mittelalter, wie wir weiter vorn gesehen haben, die alt-
christliche Kirche den aller energischsten Ausdruck gegeben, indem sie für ihre
Basilikabauten alle architektonische Zutat uumittelbar den heidnischen Tempel-
bauten entnahm. Italien erreicht aber in den Jahrhunderten, die in den übrigen
Ländern die hohe Blüte der spàt mittelalterlichen Kunst, nämlich der Gotik,
gezeitigt und gepflegt hatten, einen Kulturzustand, der es in den Stand setzte,
selbständig das Ererbte auf geistigem und praktischem Gebiete weiter auszubauen.
Italien schwingt sich damit zum Mittelpunkte der modernen Bildung auf. Von
hier aus findet dieselbe ihren Weg über die Alpen zu den übrigen Kulturvölkern.
Dass aber diese auf wissenschaftlicher Basis beruhende moderne Kultur im übrigen
Europa auch in den Künsten und vornehmlich in der Baukunst das Gewand der
Antike annahm, dass sie damit gewissermassen ihrer Volkstümlichkeit entsagte,
ist eine Erscheinung, die bis auf den heutigen Tag, ob mit, ob ohne Recht, be-
kämpft worden ist.
Werfen wir einen kurzen Blick auf diese Zeiten der Umformung der. Gesell-
schaft zum modernen Staat und des einzelnen zum modernen Kulturmenschen.
Es erklärt sich dann leicht der gewaltige Gegensatz, den Italien den übrigen
Kulturländern gegenüber einnahm, nicht minder aber auch die weltverändernde
Kraft, die, von antiker Kultur ausgehend, das ganze bauliche Ideal des Mittel-
alters in kürzester Frist über den Haufen zu werfen vermochte.
Im grössten Gegensatze befand sich Italien zu den Ländern diesseits der Alpen insonder-
heit darin, dass in der spätmittelalterlichen Zeit dort nirgendwo eine feste Herrschaft bestand.
Jus 51564 ^.
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